Türkei senkt »Kopfgeld« für Wehrdienstunwillige

Erdogan ließ sich auf Handel ein

  • Birgit Gärtner
  • Lesedauer: 2 Min.
In der Türkei gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Das gilt auch für Türken, die im Ausland leben, selbst wenn sie einen zweiten Pass besitzen. »Auslandstürken« können allerdings Wehrdienst in ihrer Wahlheimat leisten oder sich vom Militärdienst freikaufen.

Auf 10 000 Euro beläuft sich derzeit das »Kopfgeld« für die Freistellung vom türkischen Wehrdienst. Die Summe wurde jedoch kürzlich in Ankara bei einem Treffen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan neu verhandelt und soll auf 6000 reduziert werden. Kriegsdienstverweigerer fordern indes, die Freikaufsregelung abzuschaffen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Verfassung zu verankern.

Aus aller Welt reisten Mitte Juni ausgewählte Vertreter türkischer Interessenverbände - alle der Regierungspartei AKP nahe stehend - nach Ankara, um mit Erdogan über die Höhe des »Kopfgeldes« zu debattieren. »Dövizli Askerlik« - Militärdienst mit Devisenzahlung - heißt die Regelung offiziell. Erst zu Jahresbeginn 2012 war die Summe von 5000 auf 10 000 Euro erhöht worden. Das stieß bei den »Auslandstürken« naturgemäß auf wenig Gegenliebe, in der Bundesrepublik etwa verzichten türkische Jugendliche in wachsender Zahl auf ihre türkische Staatsangehörigkeit, so dass Erdogan sich offensichtlich veranlasst sah, das Thema zu besprechen.

Bei dem Treffen feilschten die geladenen Vertreter mit dem Regierungschef, was das Zeug hielt: Australier machten die Distanz zwischen dem Bosporus und Down Under und die Preise des Flugtickets geltend. Sie forderten, den Freikaufspreis auf 3500 Euro zu senken. Vertreter aus Italien und Belgien boten 5000 Euro, die Abordnung aus Deutschland plädierte für 6500 bis 8000 Euro. Als Argument für die Forderung nach »Preissenkung« wurden die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die zunehmende Zahl von Ausbürgerungsanträgen türkischer Jugendlicher in aller Welt genannt.

Als »frohe Botschaft« verkündete ein Staatssekretär schließlich, dass die Summe auf 6000 Euro reduziert werden soll. Medienberichten zufolge ist die Zustimmung des Kabinetts reine Formsache.

»Das bedeutet zwar eine finanzielle Erleichterung für viele Betroffene, ändert aber am Grundproblem nichts«, erläutert der Hamburger Kriegsdienstverweigerer Gürsel Yildirim gegenüber »nd«. »Was wir brauchen ist nicht ein höheres oder niedrigeres Kopfgeld, sondern das grundsätzliche Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Das muss für alle türkischen Staatsbürger gelten, im In- und Ausland. Schließlich gibt es nicht nur sogenannte Auslandstürken, die sich dem Militärdienst entziehen, indem sie sich freikaufen, sondern auch etwa 600 000 junge Männer im Lande, die desertieren. Die müssen untertauchen und leben als Flüchtlinge im eigenen Land«.

Ganz verzichten wird die Türkei indes nicht wollen. Einer parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP), Sebahat Tuncel, zufolge flossen auf diesem Wege seit 1995 etwa 1,2 Milliarden Euro in die türkischen Kriegskassen.

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