Weiter Ebbe am Concordiasee

Experten: Wasserdruck war Ursache für verheerenden Erdrutsch von Nachterstedt - Normalisierung der Lage frühestens 2015

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Hoher Druck in einem Grundwasserleiter war die Hauptursache für den Abbruch einer Böschung am Concordiasee im Jahr 2009, sagen jetzt Gutachter. Der See, entstanden über einem gefluteten Tagebau, wird frühestens im übernächsten Jahr wieder nutzbar sein.

Der Untergrund ist voller Überraschungen. Im Falle von Nachterstedt (Sachsen-Anhalt) sind es keine guten. Zwei Gutachter, die unabhängig voneinander den Auslöser für den Böschungsabbruch am Concordiasee mit drei Toten am 18. Juli 2009 finden sollten, stießen auf eine lokale Wasserader. Sie führt massenhaft Grundwasser schräg unter den Seegrund, wo es sich unter hohem Druck staut. Bohrte man das Reservoir an, entstünde eine 18-Meter-Fontäne - »wie am Genfer See«, sagt Rolf Katzenbach, einer der Experten.

Am Concordiasee indes gab es kein touristisches Spektakel, sondern ein Unglück: Der Druck ließ die Böschung abrutschen. Das Wasser, sagt Katzenbach, sei dafür »der maßgebliche Auslöser« gewesen. Vier Jahre nach der Katastrophe, bei der drei Menschen mitsamt einem Doppelhaus und einer Haushälfte in den See gerissen wurden, gibt es nun Gewissheit zu den Ursachen - wenn auch eine beunruhigende: Die spezifischen geologischen Verhältnisse, die zum Unglück führten, »kannte niemand zuvor«, sagt Katzenbach, der im Auftrag des Bergbausanierers Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) arbeitete.

Auch sein Kollege Michael Clostermann, beauftragt vom Landesbergamt Sachsen-Anhalt, sprach von einem »Phänomen, das vorher nicht angenommen wurde«. Ausschließen lässt sich immerhin eine andere, zunächst in Erwägung gezogene Ursache: der Altbergbau. Seit 1850 wurde bei Nachterstedt nach Kohle gegraben, zunächst unterirdisch, erst später im Tagebau. Lange war spekuliert worden, durch vergessene Stollen sei Wasser unter die Böschung geströmt, die in den 30er Jahren aufgeschüttet und später bebaut worden war. Diese These gilt als widerlegt.

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) nennt es eine »wichtige« Erkenntnis, dass »der Altbergbau keine Rolle gespielt hat«. Hilfreich für die Wiederaufnahme der Sanierung ist auch, dass beide Gutachter im Kern zum gleichen Resultat kommen. In Details gibt es aber Differenzen. Katzenbach nimmt an, das ein »seismisches Ereignis« den unmittelbaren Anstoß zur Rutschung gab, etwa eine Setzung oder ein Spannungsausgleich im Gestein. Sein Kollege hält das für »sehr unwahrscheinlich«. Die Region sei »ein aseismisches Gebiet«, sagt Clostermann.

Katzenbach verweist aber auf das Gewicht des langsam ansteigenden Wassers, zuletzt 80 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Das Hochhaus der Commerzbank in Frankfurt wiege »nur« 0,2 Millionen Tonnen. Dennoch habe sich dort der Grund seit dem Bau um mehrere Zentimeter gesenkt.

Bei der LMBV geht man nach Kenntnis der Ursachen davon aus, die Tagebaukante sichern zu können, was aber noch Jahre dauern wird. Schon gebohrt sind 28 Brunnen, die den Überdruck im Untergrund absenken sollen. Nachdem seit Januar auch die verlassenen Häuser der vom Unglück betroffenen Siedlung abgerissen wurden, soll ab 2014 die Böschung neu gestaltet werden. Dazu würden eine Million Kubikmeter Erde bewegt, sagt Mahmut Kuyumcu, Chef der LMBV. Die Arbeiten dürften bis 2017 dauern. Womöglich werde dabei auch noch einmal nach den Toten gesucht, fügte er hinzu. Weiter verzögern wird sich deshalb auch die touristische Nutzung des Sees an der Nordseite mit Badestränden, Marina und weiteren Einrichtungen. Dort ist das Seeufer keine Kippe, sondern gewachsener Grund. Doch es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Bauarbeiten am Südufer hohe Wellen auslösen. Der Tourismus sei »für die Region von hoher Bedeutung«, räumt Kuyumcu ein. Möglich sei er aber erst zur Badesaison 2015.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.