Nachdenken über eine Schriftstellerin
Literaturforum im Brecht-Haus lädt zur Woche für Christa Wolf
Der geteilte Himmel» (1963), «Nachdenken über Christa T.» (1968) und «Kindheitsmuster» (1976) - warum eigentlich sorgten die Werke von Christa Wolf (18.3.1929-1.12. 2011) bei ihrem Erscheinen in der DDR für so viel Aufsehen? - Was war bzw. ist das Besondere ihrer Bücher, inwiefern wirkt es noch heute? Wusste Christa Wolf um die ihren Romanen immanente Spannung? In seiner Woche für Christa Wolf (noch bis zum 9. August) versucht das Literaturforum im Berliner Brecht-Haus ihr Werk neu zu befragen und stellt dabei den biografischen Bezug ihrer Arbeiten in den Mittelpunkt.
Eine Exkursion mit Thorsten Bartel und Frauke Meyer-Gosau nach Landsberg, dem heutigen Gorzów Wielkopolski, die Geburtsstadt von Christa Wolf, eröffnete die Woche am vergangenen Sonntag. Hier lebt Nelly Jordan, jenes Mädchen, in dessen Gestalt Christa Wolf in «Kindheitsmuster» von sich selbst erzählen kann und Auskunft gibt, wie normal es ist, einfach mitzulaufen, einem «Führer» zu folgen. Das Buch, so erinnerte Frauke Meyer-Gosau, war bei seinem Erscheinen ein doppelter Tabubruch: Erstmals wurde in der DDR-Literatur von dem Leid der deutschen Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg berichtet. Noch nie war bisher so deutlich erzählt worden, wie bereitwillig sich die Menschen auf den Nationalsozialismus einließen. Die Kritik im Osten Deutschlands - schwieg, bevor 1979 (!) die Literaturkritikerin Annemarie Auer Christa Wolf in der Zeitschrift «Sinn und Form» wegen ihres mangelhaften Klassenstandpunkts diffamierte.
Kindheit und Jugend - Anlauf und Aufbruch zum Leben. Prägend und immer präsent. Mit diesen Worten kündigt der »Arche Literatur Kalender 2014« die Tage und Wochen des nächsten Jahres an. 53 Dichterinnen und Dichter erinnern sich in ihren Werken, Tagebüchern und Briefen an die Zeit, als sie noch nicht berühmt, bekannt waren; jung noch, doch schon mit Talent gesegnet. Von Albert Camus bis Theodor Fontane, und mittendrin, in der dritten Woche des Monats März: Christa Wolf.
Und im Westen? Marcel Reich-Ranicki, den der Roman «Nachdenken über Christa T.» noch begeistert hatte, nannte «Kindheitsmuster» eine Verniedlichung des Nationalsozialismus. Hans Mayer, einst in Leipzig Lehrer von Christa Wolf, empörte sich, dass sie nicht auch über den Stalinismus in der DDR geschrieben hatte - und entschuldigte sich später öffentlich.
Während Thorsten Bartel den Mitreisenden eine Begegnung mit Gorzów ermöglichte, arbeitete Frauke Meyer-Gosau die Entstehungsgeschichte von «Kindheitsmuster» unprätentiös auf. Sie erinnerte daran, dass die Gegenwart der Jahre 1971-1973 im Buch immer präsent ist und die Autorin nicht allein auf historische Erfahrungen zielt.
Die Brisanz solcher Verknüpfungen war 1976, dem Jahr der Biermann-Ausweisung, in der DDR zumindest zu ahnen, nicht wenige Entscheidungen von Partei- und Staatsführung hätten die gründliche Nachfrage vieler mutiger Menschen verdient.
Die Begegnungen mit diesem Buch sind vielschichtig: Mir war beim Lesen erstmals bewusst geworden, dass die Schriftstellerin - obwohl keine 15 Jahre älter als ich - eher zur Generation meiner Mütter und Väter gehörte, zu jenen also, die Hitlers faschistischen Krieg bereits bewusst erlebt hatten, an ihm - wie auch immer, wo auch immer - beteiligt waren. Waren sie Opfer, waren sie Täter? Und falls ja, inwiefern das eine und auch das andere? - Und wie anders als ich wird meine Tochter, die in der BRD erwachsen wurde, dieses Buch lesen?
Andere hatten andere Gründe für diese Reise: Ein Lehrer-Ehepaar aus dem ehemaligen Westberlin wollte sich genauer über Literatur aus der DDR informieren und zugleich Orte im Osten kennen lernen. Die älteren Herren, die eine Wiederbegegnung mit der alten Heimat suchten, trafen auf DDR-Frauen, die Christa Wolf verehren und ihre Bücher immer schon verschlungen hatten.
Alle Fragen kann eine solche Exkursion nicht beantworten. Immerhin gab sie eine Ahnung davon, auf welche Weise die Biografie von Christa Wolf in ihrem Werk erscheint, Erinnerung und Schreiben sich wechselseitig beeinflussen. Hierüber diskutieren am Donnerstag dieser Woche auch Daniela Dahn, Brigitte Struzyk und Gerti Tetzner. Über den besonderen Einfluss von Christa Wolf auf Autorinnen in der DDR und der BRD sprechen am Mittwoch Tanja Dückers, Kathrin Schmidt und Julia Schoch, während Gabriele Conrad, Gabriele Denecke und Peter Böthig am Freitag über die Notwendigkeit einer neuen Christa-Wolf-Biografie nachdenken (jeweils 20 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus).
Programm: www.lfbrecht.de
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