Eintracht Braunschweig kann Vorbild sein
Nach 28 Jahren wieder in der 1. Bundesliga: Der Sportliche Leiter Marc Arnold über Angst, Risiko und Demut
nd: Am Samstag empfängt Eintracht Braunschweig den SV Werder Bremen. Was bedeutet Ihnen und dem Verein dieser Tag?
Arnold: Das ist Freude pur, für alle in Braunschweig. Wir dürfen nach langer Zeit wieder im Konzert der Großen mitspielen. Und dass unser erstes Bundesligaspiel nach 28 Jahren zudem noch ein Heimspiel und ein Nordderby ist, macht die Sache noch schöner.
Die große Aufstiegseuphorie ist also immer noch zu spüren?
Irgendwie schon. Es ist zu spüren, wie der Verein, sein Umfeld, die Stadt und die Region nach Bundesliga-Fußball lechzen. Und an die Aufstiegsfeier mit 40 000 Menschen auf dem Schlossplatz denken alle immer noch gern zurück. Das war außergewöhnlich.
Und auf den Rausch folgte kein Kater? War Ihnen manchmal nicht etwas bange vor der neuen und großen Herausforderung und der gestiegenen Erwartungshaltung?
Absolut nicht. Es gab in Braunschweig wirklich viele harte Zeiten. Deshalb können alle diesen Erfolg genießen und richtig einordnen. Uns ist sehr wohl bewusst, dass der Sprung von der 2. in die 1. Liga sehr groß ist. Es wird spannend und schwer, das wissen wir. Aber Angst haben wir nicht.
Die Mannschaft und das Trainerteam sind angesichts des großen sportlichen Niveausprungs auch nicht verunsichert? Als Neuling kann man ja nicht so genau wissen, wo man wirklich steht.
Nein. Erst mal sind alle Spieler heiß darauf, überhaupt in den 18er Kader für das Spiel hineinzukommen. Und Sportler sollten prinzipiell nicht verunsichert in einen Wettkampf gehen, dafür sorgt unser Trainerteam.
Das Pokal-Aus in Bielefeld hat daran auch nichts geändert?
Nein, nicht wirklich. Letztendlich sind Siege immer besser für das Selbstvertrauen. Und dass wir uns über die Niederlage ärgern, ist auch klar. Die Mannschaft weiß, dass sie einige Dinge noch verbessern muss. Vor allem im Offensivspiel, da müssen wir uns mehr Torchancen erarbeiten. Aber wir haben auch gesehen, dass die Mannschaft körperlich topfit ist.
In der 2. Liga konnte Braunschweig meist das eigene Spiel durchziehen und das Geschehen dominieren. Muss die Ausrichtung jetzt etwas geändert und mehr auf die Gegner geschaut werden?
Bei uns ist es grundsätzlich ein Mix aus beidem. Auch in der 2. Liga haben wir eine sehr gute Gegneranalyse betrieben. Um unsere Stärken am besten einsetzen zu können, nutzen wir die Schwächen des Gegners. In der 1. Liga haben wir keine Chance, wenn wir uns nur nach dem Gegner richten.
Auf welchen Braunschweiger Fußball kann man sich freuen?
Wir haben eine taktisch sehr flexible Mannschaft. Als wir aus der 3. Liga aufgestiegen sind, haben wir ein sehr gutes Umschaltspiel entwickelt, um schnell kontern zu können. Das haben wir immer noch im Blut. In der vergangenen Saison haben wir uns spielerisch deutlich weiterentwickelt, hatten Spiele mit viel Ballbesitz gegen tief stehende Gegner. Ein wenig muss man auch schauen, wie die gestandenen Erstligisten gegen uns agieren. Aber ich glaube nicht, dass alle von vornherein gegen uns Hurra-Fußball spielen. Wichtig ist, das ganze Repertoire auf Lager zu haben und flexibel zu sein.
Was hat sich an Ihrer Arbeit als Sportlicher Leiter mit dem Aufstieg verändert?
Keine außergewöhnlichen Dinge. Wie jeden Sommer habe ich in Absprache mit dem Trainerteam versucht, die Personalentscheidungen umzusetzen. Dass dies jetzt gegenüber den vergangenen Jahren schwieriger geworden ist, ist klar. Als Konkurrenten haben wir jetzt ganz andere Kaliber, die einfach andere Preise zahlen können. Was unsere Neuzugänge betrifft, haben wir uns gegenüber den Vorjahren aber auch weiterentwickelt. Wir haben nicht mehr Spieler aus unterklassigen Ligen geholt, sondern nur Zweit- und Erstligaspieler.
Sind Sie bei der Kaderplanung manchmal verzweifelt an den finanziellen Möglichkeiten der neuen Konkurrenten?
Nein. Einerseits ist es müßig, sich damit zu befassen, was anderen möglich ist. Andererseits dürfen wir nie vergessen, wo wir herkommen. Wir haben den Klub mit einem harten Konsolidierungskurs wirtschaftlich wieder auf gesunde Füße gestellt, und das dürfen und wollen wir uns nicht durch die Bundesligazugehörigkeit kaputt machen. Wir gehen mit einer gewissen Demut an diese Geschichte ran, eine unserer größten Stärken auch in den letzten Jahren. Und wir werden auch jetzt kein wirtschaftliches Risiko eingehen.
Ist der finanzielle Spielraum begrenzt, muss man an anderen Stellen kreativer arbeiten. Wo?
Wir können und müssen an der Kollektivität arbeiten. Wir haben eine gut eingespielte Mannschaft, weil viele Spieler eben schon lange bei uns spielen. Sie identifizieren sich zu hundert Prozent mit dem Verein und der Region. Und so kommt auch ein sehr gutes Wechselspiel mit den Fans zustande. Die kennen die Jungs und honorieren, dass Einsatz und Engagement immer stimmen. Darüber hinaus versuchen wir die Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. Wir bauen gerade eine Rasenheizung auf dem Trainingsplatz ein. Wir haben einen zusätzlichen Physiotherapeuten und einen zusätzlichen Mitarbeiter in der Scouting-Abteilung eingestellt. Solche Dinge sind für uns ein großer Fortschritt.
Welche Chancen bietet Ihrem Verein die 1. Bundesliga?
Auf jeden Fall eine deutlich größere Wahrnehmung. Als Traditionsverein sind wir hier in der Region natürlich immer etwas im Fokus gewesen. Aber mit der Bundesliga steigt die Aufmerksamkeit deutschlandweit. Das haben wir auch schon an den Reaktionen gespürt, die wir rund um unseren Aufstieg bekommen haben. In der Branche wird unser Erfolg schon wahrgenommen. Vor allem wird die Art und Weise anerkannt, wie wir die Dinge hier angegangen sind. Dass finden viele gut. Man hört ja auch immer wieder mal, dass Braunschweig auch als Vorbild für andere gelten kann.
Die jüngere Erfolgsgeschichte der Eintracht ist auch Ihre. Welche negativen Seiten hat die Arbeit als Sportlicher Leiter?
Die unangenehmste Aufgabe steht immer im Frühjahr an. In der Planung der neuen Saison muss man dann auch mal Spielern, die lange und erfolgreich im Verein gespielt haben, sagen, dass sie kein neues Vertragsangebot bekommen. Aber auch die weniger schönen Dinge gehören zu diesem Job im Profifußball. Nur so kann man eine Mannschaft weiterentwickeln.
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