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Systemvergleich: Arztbesuch als private Katastrophe?

Teil II der nd-Serie zur Bundestagswahl

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Parteien bemühen sich, zur Bundestagswahl ihre programmatische Unverwechselbarkeit zu betonen. Zugleich scheinen einige Parteien sich in den Programmen der jeweils linken Nachbarn zu bedienen - die Union bei der SPD, die SPD bei der Linkspartei. Welche Antworten die Bundestagsparteien auf umstrittenen politischen Themenfeldern geben, untersucht in ausgewählten Bereichen die nd-Serie »Systemvergleich«. Heute: Gesundheit.

Eine beinahe klassische Konstellation bietet sich in der Gesundheitspolitik: CDU/CSU verteidigen den Status quo, die FDP will die Privatversicherungen stärken. SPD, Grüne und LINKE machen sich für eine Bürgerversicherung stark. Doch steht diese programmatische Schnittmenge links von Schwarz-Gelb für einen Systemwechsel im Gesundheitsbereich?

Noch vor wenigen Jahren waren sich SPD und Grüne sowie CDU/CSU einig, dass die Kosten im Gesundheitswesen zu Lasten der Patienten und zugunsten der Arbeitgeber gesenkt werden müssten. 2004 stimmten sie gemeinsam für das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dabei wurde nicht nur die Praxisgebühr, sondern es wurden auch Zuzahlungen und Leistungsabsenkungen eingeführt.

Was sagen die Parteien zur Gesundheitspolitik

CDU
- Erhalt des bestehenden Gesundheitssystems mit gesetzlichen und privaten Krankenkassen, eine Bürgerversicherung wird abgelehnt.

- Keine Aussage zu künftigen Beiträgen.

SPD
- Für eine Bürgerversicherung, in der alle gesetzlich Versicherten Mitglied sein sollen

- Langfristige Aufhebung der Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen.

- Gesetzliche und private Krankenversicherungen sollen die Bürgerversicherung anbieten.

- Finanzquellen: Bürgerbeitrag, den alle Bürger prozentual auf ihr Einkommen zahlen. Zusatz- und Sonderbeiträge sollen wegfallen. Arbeitgeber sollen bei den lohnbezogenen Beiträgen wieder die Hälfte der Kosten übernehmen. Steuerbeitrag: Einkünfte aus Kapitalerträgen sollen einbezogen werden; Erhalt des Gesundheitsfonds. Einheitliche Honorarordnung für die gesetzlichen wie privaten Krankenversicherungen.

FDP
- Erhalt der individuellen Wahlfreiheit bei der Krankenversicherung steht im Zentrum, die private Krankenversicherungen soll gestärkt werden.

- Bürgerversicherung wird abgelehnt.

- Bei der gesetzlichen Krankenversicherung soll das bestehende Budgetsystem abgeschafft werden. Stattdessen erhalten Versicherte künftig wie bei den Privaten eine Rechnung vom Arzt und bezahlen; anschließend sollen die Kassen die Kosten erstatten.

- Die Zusatzbeiträge sollen erhalten bleiben, die Abkoppelung der Versicherungsbeiträge von den Gehältern soll ebenfalls beibehalten werden. Das gilt auch für den aus Steuermitteln finanzierten Sozialausgleich für diejenigen, die diese Beiträge nicht bezahlen können. - Die Umverteilung durch den Gesundheitsfonds soll abgebaut werden.

LINKE
- Für die Bürgerversicherung, alle Bürger sollen mittelfristig dort versichert werden; private Versicherungen sollen bis auf das Angebot von Zusatzleistungen abgeschafft werden.

- Alle Menschen zahlen mit allen Einkommensarten in die Kasse ein, also mit Löhnen, Honoraren, Miet-, Pacht- und Kapitalerträgen. Die Beitragsbemessungsgrenze soll abgeschafft werden. Zuzahlungen und Zusatzbeiträge entfallen, Arbeitgeber zahlen wieder die Hälfte der Beiträge zahlen, bei Renten soll die Rentenversicherung die Hälfte des Beitrags übernehmen.

- Der Beitragssatz soll auf Jahre hinaus konstant bei ca. zehn Prozent bleiben.

- Begrenzung der Arzneimittelpreise durch eine neue Behörde.

Grüne
- Für eine Bürgerversicherung (Kranken- und Pflegeversicherung); alle Bürger, auch Beamte und Selbstständige, und alle Einkunftsarten werden herangezogen; Beitragsbemessungsgrenze steigt auf 5800 Euro.

- Die Bürgerversicherung soll keine Einheitsversicherung sein. Sowohl gesetzliche als auch private Versicherungen sollen Bürgerversicherungen anbieten.

- Es soll eine gemeinsame Honorarordnung geben, die sicherstellt, »dass die höheren Honorare, die heute über die Privatversicherten an die Ärzteschaft und an die anderen Gesundheitsberufe fließen, insgesamt erhalten bleiben und gerechter verteilt werden«.

- Die Beiträge auf Erwerbseinkommen sollen wieder paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert werden. Bei der Pflegeversicherung soll der erhöhte Beitragssatz für kinderlose Versicherte bestehen bleiben.

 

Die Gesundheitsreform, die CDU/CSU und FDP 2011 einführten, konnte darauf aufbauen. Die paritätische Beitragsaufteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist seither endgültig abgeschafft. Alle künftigen Erhöhungen müssen Arbeitnehmer allein zahlen. Die Kassen können dafür Zusatzbeiträge erheben. Zum Kalkül gehört dabei auch, den privaten Krankenversicherungen (PKV) neue Kunden zuzutreiben. Dass den Patienten in der GKV immer weniger Leistungen für ihre Beiträge geboten werden, ist jedoch nur ein Aspekt der Zweiklassenmedizin in Deutschland. Inzwischen fällt die Ungleichbehandlung von Kassen bzw. Privatpatienten immer krasser aus. So müssen Kassenpatienten bis zu 41 Tage länger auf einen Facharzttermin warten, wie die grüne Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon unlängst in einer Studie über die niedersächsischen Arztpraxen nachwies.

Wegen der Zuzahlungen für Medikamente und Leistungen gehen vor allem immer weniger Kranke mit geringem Einkommen zum Arzt. Und das sollen sie schließlich auch. Klingt es da nicht schon fast beruhigend, dass im Wahlprogramm der CDU/CSU keine weiteren Gesundheitsreformen angekündigt sind? Die FDP will dagegen weiter »reformieren«. Künftig sollen die Kassenpatienten finanziell in Vorleistung gehen, der Gesundheitsfonds, der zur Stützung schwächer Kassen dient, soll abgebaut werden. Dieses Lobbying für die PKV hat handfeste Gründe, denn die Privaten können trotz der massiven Begünstigungen durch die Politik nicht wirklich wirtschaftlicher arbeiten als die GKV. Ihre Verwaltungskosten sind bis dreimal höher, ihre Billigtarife sind nicht entlang der tatsächlichen Risiken der alternden Kundschaft kalkuliert und ihre Altersrückstellungen gelten in Fachkreisen als zu gering. Die Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen für die GKV ist für die PKV-Lobby daher alternativlos.

Die Stellung zur PKV macht auch einen der Unterschiede zwischen den Wahlprogrammen der SPD, der Grünen und der LINKEN aus, die jeweils die Einführung einer Bürgerversicherung zu ihrem Leitprojekt machen. Zwar besteht Einigkeit, die Zusatzbeiträge wieder abzuschaffen und, wie es im SPD-Programm heißt, zu einer »tatsächlichen Parität« bei den Beiträgen zurückzukehren. Doch SPD und Grüne wollen die Bürgerversicherung vertrauensvoll auch in die Hände Private legen. Die LINKE will die Privaten hingegen langfristig abschaffen. Sie geht davon aus, dass eine solidarische Bürgerversicherung mit der Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3973 Euro verbunden sein muss, die Grünen wollen sie zumindest kräftig anheben, die SPD hält sich hierzu bedeckt. Dafür will sie die Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems ausbauen.

Das wollen CDU und FDP auch. Aus ihrer Sicht ist das schlüssig, denn wer Besserverdienende und Private privilegiert, braucht dafür Geld. Grüne und LINKE setzen dagegen auf die Einbeziehung aller Einkommensarten wie z.B. Zins- und Mieteinnahmen. SPD und CDU wollen dies nicht. In der Gesundheitspolitik gibt es also eine durchaus nicht kleine rot-rot-grüne Schnittmenge. Gemeinsamkeiten im Sinne eines Systemwechsels bestehen allerdings eher zwischen Grünen und LINKEN, während die SPD anschlussfähig zur CDU bleibt.

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