Zum Glück fehlen die Weltrekorde

Nach Protesten zu Beginn ist in die WM der Leichtathleten Ruhe eingekehrt

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau biegen auf ihre Zielgerade ein. Drei Tage vor dem Ende haben sich die Beobachter an leere Ränge gewöhnt und die Russen an internationale Drohungen. Der DLV zeigt sich schon zufrieden. Ein paar Medaillen können noch dazukommen.

Es liegt mittlerweile im Wesen sportlicher Großveranstaltungen, dass es vor Beginn einer solchen Kritik hagelt. Stadien werden zu spät fertig, alles wird teurer als versprochen, Menschen gleichen Geschlechts dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht küssen. Politiker fordern sogleich reflexartig Boykotte oder Verlegungen. Wenn die Wettbewerbe aber erst einmal beginnen, reden meist nur noch die Sportler. Das Schlechteste ist das nicht, denn einige von ihnen haben durchaus was zu sagen.

Auch vor den Weltmeisterschaften der Leichtathleten, die am Sonntag in Moskau zu Ende gehen, war die Aufregung groß. Ein international heftig kritisiertes Gesetz, das die Freiheiten von Homosexuellen in Russland stark einschränkt, sorgte für Aufregung. Künstler und Politiker forderten gar, die Olympischen Spiele im kommenden Februar nicht in Sotschi austragen zu lassen. Da sich sogar die meisten Homosexuellen dagegen aussprachen, war das Thema schnell wieder vom Tisch.

Einige Athleten zeigten nun kreativere Wege des Protests: Der US-Läufer Nick Symmonds gewann Silber über 800 Meter und widmete dann im Siegerinterview mit einer russischen Nachrichtenagentur die Medaille seinen schwulen und lesbischen Freunden daheim. »Ich respektiere dieses Land, aber ich bin nicht mit seinen Regeln einverstanden«, sagte der 29-Jährige.

Ihm folgten die schwedische Hochspringerin Emma Green Tregaro sowie ihre Teamkollegin, Sprinterin Moa Hjelmer. Beide hatten sich am Donnerstag die Regenbogenfarben auf die Fingernägel lackiert - das bekannteste Symbol der Schwulen- und Lesben-Bewegung. »Sport hat etwas mit Respekt zu tun. Ich denke, dass ist eine nette Geste«, sagte Green Tregaro. Das beste an dieser Protestform: Die Sportler mussten dafür nicht einmal zu Hause bleiben.

Ansonsten fällt diese WM vor allem durch ein leeres Stadion negativ auf. Auch diese Diskussion wiederholt sich übrigens. Sogar zu Beginn der Olympischen Spiele von London 2012 war sie virulent. Am Ende bekamen die Briten das Problem in den Griff, und die Spiele wurden besonders wegen der fantastischen Fans ein Erfolg.

In Moskau bleiben freilich viel mehr Plätze frei. Täglich sind es Tausende, obwohl Weltverbandspräsident Lamine Diack schon im April zu wenig WM-Werbung moniert hatte. Wieder gingen zu viele Tickets an Sponsoren, die sie nun nicht mehr loswerden. Auf einigen hundert billigen Vormittagskarten sitzen zu bleiben, stört diese jedoch kaum, denn sie machen Geld damit, sich in ihrer Eigenwerbung »WM-Sponsor« nennen zu dürfen - nicht mit Ticketverkäufen oder Tombolas. Mal sehen, ob auch die Ränge in Sotschi leer bleiben.

Sportlich plätschert die WM nach Absagen vieler Stars ein wenig vor sich hin. Meist gewinnen die Favoriten à la Bolt, Issinbajewa und Harting, manchmal straucheln sie wie Lavillenie oder Heidler. Weltrekorde fielen an den ersten fünf Tagen keine, auch wenn Jamaikas Sprintstar Usain Bolt anderes angekündigt hatte. Vielleicht ist das auch ganz gut so angesichts der Dopingfälle im WM-Vorfeld - besonders in Jamaika!

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) zeigte sich schon zur Halbzeit mit seinen Sportlern zufrieden. Bei zweimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze steht die Bilanz derzeit. Kugelstoßer David Storl und die Speerwerferinnen können sie sogar noch verbessern. »Die Mannschaft hat sich bislang hervorragend präsentiert, der Blick in den Medaillenspiegel ist überaus erfreulich«, sagte Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Man hat sich damit abgefunden, von wenigen Spitzenathleten abhängig zu sein und in der Masse nicht mehr mit den Großmächten mitzuhalten. Die Stimmung im Team sei prächtig, wird vermittelt. Allein Langstreckler Arne Gabius wehrte sich nach seinem Vorlaufaus über 5000 Meter gegen die Verbandskritik, er sei taktisch schlecht gelaufen. Der DLV hätte nach dem Sturz eines Kenianers, der ihn aus dem Tritt gebracht habe, Protest einlegen sollen, konterte Gabius. Nun ja, die Läufer um ihn herum konnten die Lücke zur Spitze locker wieder schließen, der Tübinger nicht.

Auf die Alten wie Diskuswerfer Robert Harting war Verlass. Junge Athleten wie Raphael Holzdeppe kommen nach, auch wenn einige wie Weitspringer Alyn Camara die Hoffnungen nicht erfüllten. Der deutsche Meister sprang im Juni noch 8,29 Meter, in der WM-Qualifikation schied er mit 7,77 Meter aus. Doch auch das liegt im Wesen des Sports. Nicht alle Athleten erreichen ihre besten Leistungen zum Saisonhöhepunkt. Aber wäre Sport so berechenbar wie die Reflexe von Politikern, wäre er nur noch halb so spannend.

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