Spritzen, Pillen, Präparate

War Mainz Hbf nur der Anfang? Ernst Röhl wirft die Frage auf

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz – Spritzen, Pillen, Präparate

War Mainz Hbf nur der Anfang? Seit Bahnchef Mehdorn die Bahn zur Strecke brachte, sind mittels Betriebsoptimierung und Gesundschrumpfung so viele Mitarbeiter freigesetzt worden, dass ein störungsfreier Schienenverkehr in Deutschland undenkbar ist. Wussten Sie das? Und hat Hoeneß, die Lichtgestalt der bayerischen Steuerhinterzieher, tatsächlich 20 Millionen Schwarz-Euro in der Schweiz gebunkert oder doch eher 350 Millionen? Praktizieren die US-Geheimdienste wirklich die flächendeckende Totalausspähung Deutschlands, oder gibt der deutsche Dienst seine Daten in vorauseilender Freundschaft gleich selbst nach Washington durch? Pofalla weiß es, sagt es aber nicht. Ich wäre bereit, es zu sagen, weiß es aber nicht. In Deutschland ist alles so maßlos geheim …

Von Jahr zu Jahr werden es immer mehr und immer geheimere Geheimnisse. Allmählich ahne ich, wie Demokratie funktioniert: Je mehr staatliche Geheimnisse, desto demokratischer die Demokratie. »Vertrauen«, präzisiert die Kanzlerin, »ist der Schmierstoff der Demokratie.« Besonders wertvoll ist Vertrauen, wenn wieder eine jähe Wendung bevorsteht. Staatsdoping zum Beispiel war lange Zeit einzig und allein die Spezialität der totalitären ostdeutschen SED-Sportmedizin. Deutsche Sportler dagegen naschten nicht von unterstützenden Mitteln. Grundsätzlich nicht. Auch nicht Langstreckler Dieter Baumann, der pfeilschnelle »weiße Kenianer«. Zwar wurde er positiv auf Nandrolon getestet, das seiner Zahnpasta beigemischt war, doch wer steckte dahinter? Der Dieter nicht, dem war das Dopingmittel »untergejubelt« worden. Rudi Altig erstrampelte bei der Apothekenrundfahrt Tour de France den Ehrentitel »Radelnde Apotheke«, war nach seiner aktiven Laufbahn folgerichtig Tour-Experte der ARD und reduzierte das Problem pflichtgemäß auf die »schwarzen Schafe«.

So harmonisch könnte es heute noch sein. Doch auf Druck der Öffentlichkeit erschien vor kurzem eine Studie der Berliner Humboldt-Universität, die nun die hell strahlende Seifenoper von der heilen Sportwelt verdunkelt. Die Studie mit dem Titel »Doping in Deutschland von 1950 bis heute« ist ein 800 Seiten starkes Stück. Um uns die bitteren Wahrheiten scheibchenweise zu verabreichen, veröffentlichte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft vorerst nur eine Kurzmeldung von 117 Seiten. Nun wissen wir, was wir schon wussten: Die DDR betrieb ein staatlich verordnetes, die BRD ein staatlich verheimlichtes Dopingsystem. Doping im Westen, so der einstige Weltklasseläufer Franz-Josef Kemper, war »schlimmer als im Osten, weil es kleinzellenhaft und nicht so kontrolliert« vonstatten ging. Das Sportmedizinische Institut Freiburg sei das Dorado der deutschen Kunden gewesen, sagt der Sprinter Manfred Ommer: »Im Wartezimmer hat man alles gesehen, was Rang und Namen hatte.«

Deutsche Geheimnisträger und Innenminister wie Genscher und Schäuble erinnern sich daran überhaupt nicht. Thomas Bach, einst aktiver Fechter, heute Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds und Kandidat für die IOC-Präsidentschaft, bedauert: Als er der Olympiamannschaft angehörte, sei Doping »für uns in Fechterkreisen« kein Thema gewesen. Insider-Kommentar: »Wenn man IOC-Präsident werden will, schweigt man besser.«

Hauptsache, Deutschland bekommt kein wirksames Antidoping-Gesetz und die unpatriotische Dopingdiskussion in den Medien wird schleunigst beendet! Doping soll doch unser süßes Geheimnis bleiben, gell. Man muss nicht alles wissen. Manches kann man sich auch denken.

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