Frankensteins Erbe ist eine Frikadelle
Fleisch aus dem Labor – für viele Menschen im ersten Moment eine gruselige Vorstellung. Fleisch aus der Retorte, damit assoziiert man eher den Chemiebaukasten verrückter Wissenschaftler, die sich zum Ziel gesetzt haben, Frankensteins Erben neues Leben einzuhauchen. Das ist unnatürlich, mögen viele überzeugte Fleischesser einwenden und haben damit sogar Recht. Ein aus den Stammzellen lebender Rinder, im In-vitro-Verfahren gewonnener 250000 Euro teurer Fleischklops, ist in etwa so nah an der Natur dran, wie ein 29 Cent Erdbeerjoghurt aus dem Discounter. Beide Lebensmittel haben etwas gemeinsam: Sie zeigen uns, wie sehr die Nahrungsmittelindustrie uns Illusionen auftischt.
Wir essen täglich Produkte, deren Zutaten nicht das sind, als was sie zunächst erscheinen. Fleisch aus dem Reagenzglas ist da nur die folgerichtige Weiterführung einer Industrie, die mit immer weniger Kosten immer mehr produzieren will, um größere Profite zu erwirtschaften. Obwohl wir mit solchen Entwicklungen der Natur den Mittelfinger zeigen, unterstützen Umwelt- und Tierrechtsverbände die Entwicklung von Laborfleisch. So lobte PETA bereits vor fünf Jahren eine Million US-Dollar für jene Wissenschaftler aus, die der Welt das erste marktfähige Hühnerfleisch aus dem Labor präsentieren. Obwohl PETA ihren Zielen nach eigentlich für eine vegane Lebensweise eintritt, ist die Organisation doch längst zu einer Erkenntnis gekommen: Es besteht die nicht ganz von der Hand zu weisende Befürchtung, dass sich nicht die gesamte Menschheit von einer veganen Lebensweise überzeugen lassen wird.
Es wird wohl auf absehbare Zeit weiter viele Menschen geben, die ihr vermeintliches Recht auf ein Schweineschnitzel proklamieren und dabei die Zusammenhänge zur Zerstörung von Natur und Menschenleben geflissentlich ignorieren – von den Tierrechten ganz zu schweigen. Retortenburger könnten hier eine Antwort sein, auch wenn die niederländischen Wissenschaftler der Universität Maastricht erklären, dass ihr Rinderburger bis zur Marktreife noch etwa 20 Jahre Entwicklung benötigt. Bis dahin können Tierrechtler sich überlegen, wie sie die letzten Fleischliebhaber vom Veganismus überzeugen, oder ihnen wenigstens das Laborfleisch schmackhaft machen. Einen brauchbaren Ansatz liefert die derzeitige Fleischindustrie gleich selbst. Mit Natürlichkeit haben sowohl Tierhaltung, als auch die als Fleisch-, Eier und Milchproduzenten gehaltenen Lebewesen, wenig bis nichts zu tun.
Oder käme die Natur auf die Idee, Hühnerrassen auf die Erde zu entlassen, deren Knochen dem rasant wachsenden Fleischkörper nicht standhalten und deshalb reihenweise unter der Last zusammenbrechen? Stellen sie sich einen mehr als 100 Kilogramm schweres fünfjähriges Menschenjunges vor und sie können in etwa abschätzen, wie natürlich Fleischhühner heute sind.
Würde die Natur Tiere züchten, die sich unfähig zur Fortpflanzung erweisen? Arterhaltung, die vielleicht wichtigste Grundlage im Tierreich, geschieht in der Tierhaltung heute fast ausschließlich unter laborähnlichen Bedingungen. Das ist auch nötig, denn Krankheitskeime von außerhalb würden die überzüchtete Ware Tier kein Überleben sichern. So viel Zynismus kann auch nur der Mensch aufbringen: Er züchtet neue Tierrassen, deren Überleben ohne sein Zutun unmöglich wäre, da der Körper kaputt und zeugungsunfähig ist. Unter diesem Blickwinkel scheint der Schritt zur Frankenstein-Frikadelle doch eine gangbare Alternative zu sein.
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