Was nicht recht zusammenpasst
Die »Nordkirche« ist nun offiziell komplett - aber weiterhin arbeitsrechtlich und theologisch tief gespalten
Ganz fremd sind Gerhard Ulrich die weltlicheren Belange nicht. Der 1951 geborene Theologe begann sein Studium in den 1970er Jahren in den Fächern Germanistik, Schauspiel und Theaterwissenschaften, bevor er zur Theologie wechselte. Wenn Ulrich an diesem Sonntag vor 750 geladenen Gästen im Schweriner Dom in das Amt des ersten Landesbischofs der zu Pfingsten 2012 vereinigten evangelischen Kirchen von Pommern, Mecklenburg und »Nordelbien« eingeführt wird, wird freilich das Geistliche im Vordergrund stehen. Zuzüglich etwas historischer Patina, denn die »Nordkirche« ist die erste evangelische Landeskirche, die die frühere Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik überwindet.
Diese weltliche Sonderstellung zieht freilich weiterhin einen Graben durch die Kirche im Norden. Mit der alten Nordelbischen Kirche - die im wesentlichen Hamburg und Schleswig-Holstein umfasste - und den Mecklenburgischen und Pommerschen evangelischen Kirchen vereinigte sich nämlich eine vergleichsweise fortschrittliche mit zwei eher konservativen klerikalen Verbänden.
Deutlich sichtbar wird dies anhand der Art und Weise, wie die jeweiligen Verbände mit ihren Mitarbeitern umgehen: Als die Nordelbische Kirche 1977 gebildet wurde, begannen auch umgehend Verhandlungen über einen Tarifvertrag mit den unmittelbaren Gemeindebeschäftigten. Und auch rund 10 000 von 40 000 nordelbischen Mitarbeitern in diakonischen Einrichtungen wie Sozialstationen und Krankenhäuser haben eine Art Tarifvertrag, wenn auch ohne reguläres Streikrecht.
Dazu wäre die Nordelbische Kirche nicht verpflichtet gewesen, denn für die Kirchen und ihre Unternehmungen gilt laut Grundgesetz noch immer eine arbeitsrechtliche Ausnahmeklausel aus der Weimarer Reichsverfassung, die Arbeitnehmerrechte weitgehend beschneidet.
Bei der Vereinigung der drei Körperschaften zogen nun die Beschäftigten der Ost-Kirchen den Kürzeren: Während die - wenigen - unmittelbaren Gemeindebeschäftigten der chronisch mitgliederschwachen mecklenburgischen und pommerschen Landeskirchen in den Tarifvertrag der Nordelbier aufgenommen wurden, blieben die rund 15 000 Diakoniebeschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern außen vor. Laut Berno Schuckart-Witsch von ver.di werden diese Mitarbeiter in kirchlich betriebenen Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen »um die 15 bis 20 Prozent schlechter bezahlt als nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst«. Für kirchliche Arbeitgeber besteht - obwohl sie längst mit kommerziellen Unternehmungen konkurrieren - im Nordosten keinerlei Tarifbindung, sondern werden Löhne im Grunde individuell verhandelt. Da zudem in diakonischen Einrichtungen generell »70 bis 80 Prozent« der Beschäftigten weibliche Teilzeitkräfte seien, will Schuckart-Witsch nicht ausschließen, dass die Kirche zumal in Mecklenburg-Vorpommern ihre Beschäftigten in Größenordnungen zum Zuverdienen zwingt oder zum »Aufstocken« schickt. »Dazu könnte der neue Bischof eigentlich mal etwas sagen«, fordert der Gewerkschaftsmann.
Und auch auf der ideologischen Ebene muss im Norden und Nordosten noch zusammenwachsen, was eigentlich nicht recht zusammenpasst. Verdeutlichen lässt sich dies anhand der Haltung zu homosexuellen Partnerschaften: Während die bisherige Nordelbische Kirche homosexuelle Paare inzwischen routinemäßig auch vor dem Altar vor Publikum »segnet« - was für Laien von einer Eheschließung kaum zu unterscheiden ist, wiewohl die Kirche auf einem Unterschied beharrt -, gehörten die beiden Klein-Kirchen im Nordosten in dieser Frage zur konservativen Nachhut: Dort können gleichgeschlechtliche Paare allenfalls mit einer Segnung »in der seelsorgerischen Begleitung« rechnen - nicht aber mit einer Segnung vor dem Altar vor versammelter Gemeinde oder Hochzeitsgesellschaft. In dieser Beziehung halten es die Gottesleute im Nordosten eher mit den Konservativen zum Beispiel im Südwesten, die stets sehr deutlich auf die Ungleichheit hetero- und homosexueller Verbindungen vor Gott gepocht haben.
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