Mondwanderung mit Menschen
»Schlachthof 5« am Theater unterm Dach
Der Vogelruf »kiwitt, kiwitt« ist der letzte Laut, der diesen Theaterabend beschließt. Er ist auch der einzige, der in der Stille nach der Katastrophe über der Trümmerlandschaft, die einst die Stadt Dresden war, ertönt. Vergessen ist für einen langen, schweren Moment, dass wir uns »nur« in einem Theaterraum befinden, in dem vom Krieg lediglich erzählt wird.
Die Regisseurin Wenke Hardt hat gemeinsam mit den beiden Schauspielerinnen Claudia und Monika Wiedemer Kurt Vonneguts Antikriegsroman »Schlachthof 5« derart plastisch in Szene gesetzt, dass man sich selbst am Handlungsort zu befinden glaubt und vermeint, tatsächlich die Hitze und den Geruch und Geschmack von Tod und Zerstörung auf der Haut und im trockenen Munde zu verspüren. Zugleich ist man aber auch entlastet und schließt sich der lakonischen Weltsicht des Protagonisten Billy Pilgrim an, in der Drama und Tragik längst über Bord geworfen sind, und für den das »kiwitt, kiwitt« am Anfang wie auch am Ende des Lebens stehen und sogar dessen Essenz darstellen könnte.
Hardt und ihren Performerinnen ist so etwas Seltenes wie eine von Tragik und Leid durchschossene Farce gelungen. Als Farce stellte sich jedenfalls für Billy Pilgrim der letzte große Krieg in Europa dar. Da geht es ihm wohl wie all den anderen, die mehr schlecht als recht ausgerüstet und ohne eigenes Interesse außer dem, das eigene Fell zu retten, über die Bühnen von Schlachtfeld und Etappe stolpern. Heroismus taucht da nur als Schrumpfform auf, in Gestalt eines Soldaten etwa, der sich zwei Fernaufklärern an die Fersen heftet und das Trio als Wiedergeburt der drei Musketiere imaginiert. Präzision - die soldatische Haupttugend der industriellen Kriege - wird allenfalls im pedantischen Sich-Fithalten spleeniger britischer Kriegsgefangener sichtbar. In epischer Breite wird aber das Hinterhertappen mit ungeeignetem Schuhwerk, das chaotische Geradeso-Überleben inmitten pfeifenden Metallregens gezeigt.
Mit dem Leben davonzukommen, ist hier nicht Frucht von Ausbildung, Taktik, Planung oder Fronterfahrung, womit auch heutige Strategen den Krieg gern zu verkaufen versuchen, sondern Ergebnis eines zufälligen Prozesses. Kaum jemand hat dies - und auch die Persönlichkeitsstörungen, die daraus entstehen - so gut für den Zweiten Weltkrieg aufgeschrieben wie Kurt Vonnegut.
Das große Figurenarsenal von Vonneguts Montageroman über versprengte amerikanische Soldaten und die Bombardierung Dresdens hat Regisseurin Wenke Hardt im Rahmen der Trilogie »Krieg im Kopf« auf lediglich zwei Schauspielerinnen aufgeteilt. Claudia Wiedemer ist die Hauptfigur Billy Pilgrim - ein angehender Optiker, der als Assistent eines Feldgeistlichen erst über die Schlachtfelder des letzten großen Kriegs in Europa geweht und aus seinem späteren bürgerlichen Leben noch auf einen fernen Planeten verschlagen wird. Ihre Schwester Monika Wiedemer ist alles andere: Billys Frau, seine Kameraden an der Front und in Gefangenschaft, Patienten, Optikerkollegen und auch Montana Wildhack - jene wie Billy auf den Planeten Trafalmadore verschleppte Erdenbürgerin, die der dortigen Einwohnerschaft als Zooattraktion und Kopulationspartnerin präsentiert wird.
Dass man bei diesem Figurenspringen nicht verwirrt wird, ist eine große Qualität dieses Theaterabends. Monika Wiedemer hüllt sich in jede Rolle wie in ein maßgefertigtes Kleidungsstück. Und Claudia Wiedemer weiß die chaotisch anmutende Abfolge von galaktischen Auftritts- und Handlungsorten ihres sogar von Zeitsprüngen heimgesuchten Protagonisten als geradezu zwangsläufig darzustellen. Eine gelungene szenische Studie zu Zeitstrukturen im Krieg.
Schlachthof 5, Theater unterm Dach, 31.8., 1., 5., 6.9., 20 Uhr
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