Hilfsprojekt Weltversammlung
Seit zehn Jahren vernetzt die International Alliance of Inhabitants weltweit wohnungspolitische Basisbewegungen
nd: In Deutschland ist Ihr internationales Bündnis für Wohnraum fast unbekannt. Stellen Sie es bitte kurz vor!
Die International Alliance of Inhabitants (IAI) wurde 2003 bei einem Treffen von Organisationen und Initiativen gegründet, die täglich für das Recht auf Wohnraum kämpfen. Sie kamen aus Lateinamerika und einigen europäischen und afrikanischen Ländern. Heute sind über 250 Organisationen aus 45 Ländern in unserem Netzwerk. Außerdem gibt es Verbände und Fachleute, die nur beratend mitwirken. Die politische Leitung hat ein Koordinationskomitee. Unser Ziel ist, dass die Stimmen von der Basis ungefiltert zur Geltung kommen. Dafür organisieren wir Kampagnen. Uns geht es auch um die Selbstermächtigung unserer Mitstreiter.
Trifft sich die IAI regelmäßig?
Wir haben eine jährliche Versammlung. Dieses Jahr war sie während des Weltsozialforums in Tunis. Dort gab es auch die zweite »Weltversammlung der Bewohnerschaft«. Diese beruht auf einem Aufruf der IAI, der von mehreren hundert Organisationen unterstützt wurde. 2011 gab es dann die erste Weltversammlung der Bewohnerschaft beim Weltsozialforum in Dakar. In den vergangenen Jahren gab es einen Aufbauprozess rund um die verschiedenen regionalen Sozialforen.
Wie viele Menschen haben an der diesjährigen Versammlung teilgenommen?
Die Weltversammlung der Bewohnerschaft bestand aus fünf Arbeitstreffen und einer Abschlussversammlung mit 200 Teilnehmern. Insgesamt kamen zu diesen Treffen 600 Menschen. Nicht zu vergessen sind die Leute, die in den Vorbereitungsprozessen mitgewirkt haben, aber dann nicht bei dem Treffen dabei sein konnten.
Worüber wurde in Tunis gesprochen?
Die Hauptthemen finden sich im Titel der Abschlusserklärung: der Boden, das Haus und die Kämpfe. Es ging um die Frage, wie einer Milliarde Menschen, die in schlechten Wohnverhältnissen leben, Wohnraum gegeben werden kann. Wichtig ist uns dabei eine Harmonie zwischen ländlichen und städtischen Gegenden. Das ist ein Ergebnis der seit 2012 laufenden Debatten, auch mit dem kleinbäuerlichen Netzwerk Via Campesina.
Wer nimmt an diesen Treffen teil?
In Tunis trafen sich Opfer des Immobiliensektors: Mieter, die ihre Hypothek nicht mehr zahlen können und Menschen, vor allem aus ehemals sowjetischen Ländern, die von Firmen betrogen wurden, indem sich die Unternehmer nicht an Abmachungen gehalten haben. Obdachlose vor allem aus Tunesien koordinierten sich, und es gründete sich eine Initiativgruppe für ein afrikanisches Netz von Einwohnerorganisationen, in der 22 Länder vertreten sind.
Gibt es viele gemeinsame Probleme in den Wohnungssektoren der verschiedenen Länder?
Ja, die größte Gemeinsamkeit sind die Zwangsräumungen, die verschiedene Ursachen haben: Die Mieter oder Eigentümer können die Miete oder Hypothek nicht mehr bezahlen. Es gibt Immobilienspekulation oder Landkonflikte und Vertreibungen durch städtische Megaprojekte. Immer wird Wohnraum als Ware behandelt, nicht als ein Gemeingut. Weltweit sind zwischen 60 und 70 Millionen Menschen von Zwangsräumungen bedroht. Das verschärft sich durch die globale Finanzkrise.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Fehlen einer Wohnungspolitik, die als öffentliche Dienstleistung verstanden wird. Über eine Milliarde Menschen weltweit lebt ohne Dach über dem Kopf oder unter schlechten Bedingungen. Diese Zahl wächst beträchtlich, und das, obwohl ein UNO-Milleniumsziel von der Verpflichtung der Regierungen spricht, bis 2020 die Wohnbedingungen für mindestens 100 Millionen arme Menschen zu verbessern. Aktuelle Statistiken zeigen aber, dass 2020 eher 700 Millionen mehr Menschen in schlechten Wohnverhältnissen oder in der Obdachlosigkeit leben werden.
Was sind Ihre Ziele und Forderungen?
Unsere Hauptstrategie ist, würdigen Wohnraum außerhalb des Marktes zu schaffen. Wir wollen keine Hilfsprojekte machen, wie andere Organisationen. Das sind nur Flicken, die keine Lösungen bringen. Die Organisationen, die das tun, sind bei UNO, Weltbank und Weltwährungsfonds gerne gesehen. Wir wollen auch keine Projekte, die sich auf Mikrokredite gründen.
Wenn es Zwangsgeräumte gibt und gleichzeitig leeren Wohnraum, dann bietet das Paradigma des Marktes keine Lösung. Wir unterstützen deshalb Widerstandskämpfe in verschiedenen Ländern. Wir schlagen aber auch Alternativen vor. Wenn wir Wohnungspolitik als öffentliche Dienstleistung fordern, stehen wir sofort vor grundsätzlichen finanzpolitischen Fragen. Zum Beispiel sehen die Euro-Beitrittskriterien Kürzungen bei Sozialausgaben und beim öffentlichen Wohnungssektor vor. Wir sagen aber: Die Investitionen in den Wohnungssektor müssen bestehen bleiben.
Können Sie dabei auf Erfolge zurückblicken?
Im Kampf gegen Zwangsräumungen in Nairobi (Kenia) zwischen 2005 und 2009 haben wir es mithilfe internationaler Solidarität geschafft, die Räumung von 300 000 Menschen zu verhindern. Die Regierung wollte Slums auflösen. Danach fragten wir, wie wir für Verbesserungen in den Armenvierteln kämpfen können. Wir sagten: Wir müssen anspruchsvoll sein und versuchen, die Politik der Regierung zu verändern.
Eine der Prioritäten der kenianischen Regierung ist - wie in allen Ländern, die wegen der Krise verarmt sind -, die Auslandsschulden zu bezahlen. Sie hatte 44 Millionen Euro Schulden bei Italien. Wir haben es nach hartem Kampf und in direkten Verhandlungen mit beiden Regierungen geschafft, dass die Schulden erlassen wurden. 15 Prozent der Summe werden nun für die Verbesserung der Bedingungen in einem der Slums verwendet. Das Ganze steht nun unter gesellschaftlicher Kontrolle: Das Viertel, die Zivilgesellschaft und lokale Autoritäten reden bei der Verteilung des Geldes mit.
Eine weitere Möglichkeit könnte sich in Tunesien ergeben. Dort wird es im Rahmen der globalen Aktionstage »Null Zwangsräumungen« im Oktober eine Konferenz zum Recht auf Wohnraum geben, wo wir das Thema Verschuldung angehen werden.
Die 2003 festgelegten Ziele der IAI waren, die Bewegungen für ein Wohnen in Würde sichtbar zu machen und »Antworten für einen sozialen Wandel zu erarbeiten«. Seitdem sind zehn Jahre vergangen. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?
Die generellen Ziele wurden erreicht. Aber uns ist bewusst, dass die Weiterentwicklung unseres Netzwerks nicht ausreicht. Wir wollen Mitstreiter gewinnen, aber uns geht es nicht darum, größer zu werden. Wir wollen auch mit Organisationen zusammenarbeiten, die nicht zur IAI gehören.
Vor ein paar Monaten war ich deswegen in Wuppertal, wo die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Konferenz organisiert hat. Dort stellten sich mehrere europäische Initiativen vor. Ende September veranstaltet das New Yorker Büro der Stiftung eine weitere Konferenz, auf der Initiativen aus dem globalen Süden mit anderen aus dem Norden zusammentreffen, um sich zu verständigen, mit welchem Fokus die Krise angegangen werden muss.
Welche Perspektiven sehen Sie?
Wir richten uns am Jahr 2016 aus. Dann stellen wir uns einer neuen Herausforderung: In Anlehnung an Via Campesina - die Bewegung der Kleinbauern - wollen wir die Via Urbana y Comunitaria schaffen: Einen gemeinsamen Raum, wo die verschiedenen Netzwerke und Organisationen ihre Identität und ihre Handlungsfreiheit bewahren können. In dem aber auch Erfahrungen ausgetauscht, Strategien gemeinsam entwickelt werden können, um sich global mit lokalen Kämpfen zu solidarisieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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