Deutsche Wasserkante versandet
STRANDBURGEN: Es werden immer weniger gebaut - die Urlauberkommunen und das Ausland freuen sich
nd: Zum Ausklang des Sommers eine gute Nachricht: Strandburgen scheinen endgültig verschwunden. Was ist passiert?
KIMPEL: Ökologische und ökonomische Gründe haben ineinander gegriffen. Immer mehr Küstenorte begannen sich mit Verboten zu wehren. Eine gewichtige Rolle hat auch der wirtschaftliche Aspekt gespielt: Die Burgen erschwerten die Kommerzialisierung des Strandes, weil sie die maximal mögliche Belegdichte reduzierten. Wenn jeder Feriengast zwischen sich und den anderen einen Wall zieht, dann lassen sich auf einem Kilometer Strandabschnitt weniger Menschen unterbringen, als wenn man die Leute dicht auf dicht packt.
Warum haben eigentlich ausgerechnet die Deutschen früher so gerne Strandburgen gebaut? Andere Nationen kannten keine derartige Form der Buddelei.
Im Strandburgenbau manifestierte sich das Charakterbild des deutschen Kleinbürgers. Mit seiner eigenartigen Ambivalenz gegenüber Nachbarn. Der Kleinbürger braucht Distanz, um sich anderen Menschen nähern zu können. Deswegen die Strandburg. Erst wenn man um sich selber und die Seinen einen Abstandsring gelegt hat, kann man mit dem Nachbarn in Kommunikation treten. Hinzu kommt der Wunsch nach »verheimateter Fremde«, wie ich das nenne. Die Urlauber brechen von zu Hause auf, aber beginnen sofort, nachdem sie den Ort ihrer Wünsche erreicht haben, in jener ungewohnten Situation wieder Vertrautheit herzustellen. Indem sie eine Strandburg errichten.
Womit die Kleinbürgerseele zugleich ihren Besitzstandshang ausgelebt hat: Das habe ich erobert, belegt, es ist meins.
Mit der Strandburg wurde ein Claim abgesteckt, das ist in der Tat die symbolische Inbesitznahme eines Stückes von Fremde. Und eben wegen dieser Eroberungsgeste waren die deutschen Strandburgen im Ausland äußerst unbeliebt. Gerade in Dänemark und den Niederlanden sah man es aus leidvoller historischer Erfahrung überhaupt nicht gern, wenn Deutsche wieder Festungen bauten.
Wann hatten die Strandburgbauer ihre erste Hochzeit?
Nach der Reichsgründung 1871 zeigte man im wilhelminischen Deutschland martialisch angehaucht gern auch Flagge an der Wasserfront.
Wollten die Schaufler und Schipper vielleicht nicht auch noch demonstrieren, wie ordentlich und fleißig sie sogar im Urlaub sind?
Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Der Bau einer Strandburg ist eine sinnstiftende Maßnahme am fremden Strand und soll zugleich calvinistisches Arbeitsethos demonstrieren: Müßiggang wird abgeschafft, dafür vorgeblich bürgerliche Wohlanständigkeit wird vorgeführt.
Seit Jahren ist das Strandburgenwesen nun schon stark abgeebbt. Sind wir Deutschen am Strand ziviler und weniger »deutsch« geworden?
In dieser Hinsicht können sich unsere Nachbarn nicht mehr über uns beschweren. Mag sein, dass sich deutsche Welteroberungsgesten inzwischen auf andere Weise äußern, aber wenigstens graben sich die Deutschen nicht mehr am fremden Strand ein.
Aber dafür sieht man jetzt offenbar häufig Sandburgen. Was unterscheidet sie von Strandburgen?
Sandburgen hat es parallel zu Strandburgen immer gegeben. Die Sandburg ist das Ergebnis lustvollen Knetens mit Hilfe des leicht formbaren Materials Sand. Kreativ werden dreidimensionale Formen geschaffen, das geht bis hin zu ausgefeilten Figuren aller Art. Sandburgen sind kein deutsches Phänomen, sondern an allen Stränden beliebt, rund um den Globus.
Haben Sie während Ihrer Kindheit eigentlich auch mal Strandburgen aufgeschaufelt?
In frühester Jugend, während des Familienurlaubs in Sankt Peter-Ording. Das ist aber kein Grund, der Strandburg nostalgisch Tränen nachzuweinen.
Gespräch: René Gralla
Das Buch zum Thema: »Die Strandburg. Ein versandetes Freizeitvergnügen« von Harald Kimpel und Johanna Werckmeister (Jonas Verlag; 96 Seiten, Preis ca. 15 Euro
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