Vorbereitet und rechtswidrig

In Frankfurt wurde der Polizeieinsatz gegen die Blockupy-Demo im Juni aufgearbeitet

  • János Erkens
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn sogar bürgerliche und konservative Medien wie »FAZ« oder »Bild« einen Polizeieinsatz gegen linke DemonstrantInnen als »unverhältnismäßig« und »knallhart« bezeichnen, ist das sicherlich bemerkenswert.

Derart selten einstimmig war der Pressetenor nach den Blockupy-Protesten am 1. Juni, als die Polizei einen Demonstrationszug mit geschätzten 10 000 TeilnehmerInnen nur kurze Zeit nach seinem Start am Hauptbahnhof in Frankfurt am Main aufgehalten hatte. Hundertschaften von PolizistInnen aus Hessen und anderen Bundesländern hatten die angemeldete und gerichtlich bestätigte Demonstrationsroute auf Höhe der Europäischen Zentralbank (EZB) blockiert. Daraufhin wurden etwa 900 Protestierende eingekesselt und mit Reizspray und Schlagstöcken traktiert. Erst zehn Stunden später, gegen 22 Uhr, wurde der Kessel aufgelöst.

Weil der Hessische Landtag trotzdem darauf verzichtete, diesen mutmaßlichen Verstoß gegen das Versammlungsrecht mittels eines Untersuchungsausschusses aufzuklären, riefen das BlockupyBündnis und die Linkspartei am vergangenen Samstag zu einer eigenen öffentlichen Zeugenbefragung auf: »Wir wollen uns gar nicht anmaßen, ein tatsächliches Gerichtsverfahren zu ersetzen«, sagt Corinna Genschel (LINKE), die als Vertreterin des Blockupy-Koordinierungskreises die Moderation übernahm. Im Zuge des »Tribunals«, wie es die AktivistInnen nennen, solle vielmehr ein weiteres Mal deutlich werden, dass etwa die Einschätzung des Hessischen Innenministers Boris Rhein (CDU), der Polizeieinsatz sei rechtmäßig und angemessen gewesen, unhaltbar ist.

»Der Eingriff der Polizei war von vornherein geplant und nicht eine Reaktion auf angebliche Angriffe seitens der Demonstrant᠆Innen«, ist sich Michael Ramminger sicher. Der erste Zeuge vor dem Tribunal hatte bei der Demonstration das Fronttransparent mitgetragen und war mit der Spitze des Demozuges gerade mal eine halbe Stunde unterwegs gewesen, als »die Robocops uns schon eingekreist haben«. Die TeilnehmerInnen am Ende der Demonstration waren derweil noch nicht vom Frankfurter Hauptbahnhof losgelaufen. Für Rammingers Einschätzung spricht auch, dass die Einsatzkräfte der Polizei sich bereits vor dem Start des Zuges in den umliegenden Gebäuden nach Zugängen zu den Dächern und möglichen anderen Spähplätzen erkundigt hätten. »Diese Demo war de facto zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte – sie dann auch noch als rechtswidrig zu erklären, ist hochgradig absurd!«, so Rammingers Fazit.

Wie viele andere ZeugInnen an diesem Tag ist er davon überzeugt, dass die Polizei versuchen wollte, die Demo zu spalten, indem sie die TeilnehmerInnen des antikapitalistischen Blocks isolierte und provozierte. »Die Polizisten sind teilweise mit ihrem Pfefferspray umgegangen wie andere Menschen mit Haarspray«, erzählt der Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Jochen Nagel, der kurz hinter dem Kessel in der Demo gelaufen war. »Meines Wissens sind aber sogar die eingekesselten DemonstrantInnen an keiner Stelle auf diese Provokation eingegangen.«

Bezugspunkt der Zeugenaussagen ist am Samstag immer wieder das Rechtsgutachten, auf das sich Innenminister Rhein stützt; Angefertigt vom Jenaer Juristen Michael Brenner, fußt es maßgeblich auf dem Polizeibericht und kommt zu dem Schluss, der Einsatz sei rechtskonform gewesen. »Die Anwälte der KlägerInnen haben aber keine Akteneinsicht gewährt bekommen«, kritisiert der Frankfurter Aktivist Thomas. »Das bedeutet also entweder, Brenners Quellen widersprechen seiner Darstellung im Gutachten oder er hat sie sich aus den Fingern gesogen!«

»Ich hätte mir einen Untersuchungsausschuss gewünscht, der nicht nur die Perspektive der Polizei berücksichtigt«, sagt Janine Wissler, hessische Linkspartei-Abgeordnete. »Denn dass wir, wie Boris Rhein sagte, den Kessel jederzeit hätten verlassen können, stimmt so nicht!« Sie habe schwangere Frauen, alte Menschen, Kinder und SanitäterInnen gesehen, die den Kessel weder betreten noch verlassen durften, erzählt die parlamentarische Beobachterin. Als ihr nordrhein-westfälischer Parteikollege Niema Movassat den Kessel mit zwei Tüten Lebensmittel betreten will, wird er von den PolizistInnen abgehalten. »Sie haben meinen Ausweis als Mitglied des Deutschen Bundestages schlichtweg nicht akzeptiert«, erzählt er kopfschüttelnd.
Auch oder gerade weil sich die Erfahrungen der Betroffenen überschneiden und wiederholen, zeigt sich Thomas am Ende des etwa siebenstündigen Tribunals zufrieden: »Obwohl es eine öffentliche Veranstaltung war, kam niemand, der einen gewalttätigen Demonstranten bezeugt hätte. Diese Tatsache allein spricht für mich schon Bände.«

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