Die spekulative Methanbombe
Klimaforscher widersprechen Katastrophenszenario vom schlagartigen Tauen des Permafrosts
Eine »Klimabombe« stellten drei Forscher im Fachjournal »Nature« in Aussicht, die zugleich eine »Economic Time Bomb« sei, wie es in einer Zwischenzeile heißt. Kaum erschienen, wurden die Argumente der Autoren Gail Whitman, Chris Hope und Peter Wadhams für die Methan-Emissionen aus Permafrostböden in einer Stellungnahme von 15 Experten zerpflückt. Aber da hatten fast alle Medien die alarmierende Botschaft bereits übernommen, auch das »nd« am 12. August 2013.
Die »Nature«-Autoren hatten versucht auszurechnen, welcher wirtschaftliche Schaden entstünde, wenn das im Permafrost gespeicherte Methan freigesetzt und dadurch die globale Klimaerwärmung zusätzlich angetrieben würde. Sie »unterstellen einen Dekaden-Ausstoß von 50 Gigatonnen Methan, in die Atmosphäre freigesetzt zwischen 2015 und 2025«. Ihre Kritiker halten diese Größenordnung für »unwahrscheinlich hoch gegriffen«. Dazu sei eine Freisetzungsrate nötig, die ungefähr hundert Mal höher wäre als die durchschnittliche Übergangszeit seit dem Ende der Eiszeiten.
Betrachtet man die Freisetzung von Methan aus Ozeanen, so nimmt die internationale Forschung einen Ausstoß von 0,5 Gigatonnen pro Jahr an. Auch Paul Overduin von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI), der sich seit Jahren mit dem marinen Permafrost beschäftigt, weist auf den Irrtum der »Nature«-Autoren hin: »Sie geben das Zehnfache an Methan pro Jahr in die Luft im Vergleich zu dem Anteil, den wir heute messen. Zugleich nehmen sie an, dass diese Menge allmählich oder auch schnell entweichen könnte. Aber der Meeresboden erwärmt sich sehr langsam. Ein plötzliches Ausbrechen des gesamten Methan-Reservoirs ist so gut wie ausgeschlossen. Das sind Behauptungen, die keine Grundlage haben.«
Wie kommen Wissenschaftler zu solchen Trugschlüssen? Die Hauptautoren Whitman und Hope sind Ökonomen, Wadhams ist Meeresphysiker, aber kein Permafrostspezialist. Sie berufen sich auf eine Studie von V. A. Alexejew und Natalja Shachowa, die eine kräftige Methanflut auf dem sibirischen Schelf gesehen haben, und rechnen die lokalen Werte einfach hoch. Durch diesen falschen Ansatz und die reichlich spekulativen Schlüsse daraus »wurde ein Schreckensszenario aufgebaut«, sagt Paul Overduin.
Hinter dieser Diskussion verbirgt sich eine umfassendere Frage, nämlich die nach der Wissenschaftlichkeit ökonomischer Prognosen. Man mag Heiner Flassbeck, früher Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), nicht widersprechen, wenn er der heutigen Ökonomenzunft en gros wissenschaftliche Seriosität abspricht.
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