Syrien-Krise: Israel und USA sorgen mit Raketenanwehrtest für Verwirrung
Russisches Militär registrierte in den Morgenstunden zwei Abschüsse in Richtung Syrien / Präsident Putin unterbreitet USA Gesprächsangebot
Das Wichtigste in Kürze:
Israel und die USA haben am Dienstagmorgen einen gemeinsamen Raketentest im östlichen Mittelmeer unternommen.
Die USA sagen, die Raketen seien aber nicht von amerikanischen Schiffen abgefeuert worden.
Der Bundesnachrichtendienst ist auf Grund einer »Plausibilitätsprüfung« davon überzeugt, dass die syrische Armee hinter dem Giftgasangriff steckt. Sichere Beweise dafür habe man aber ebenfalls nicht.
Seit Beginn des Bürgerkrieges sind mindestens zwei Millionen Syrer vor der Gewalt geflohen.
Russlands Präsident Wladimir Putin will sich beim G20-Gipfel in St Petersburg nun doch mit US-Präsident Barack Obama treffen; eine Bestätigung des Weißen Hauses steht noch aus.
Rätselraten über Raketentests
Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums in Moskau gab am Dienstagvormittag bekannt, eine Radarstation an der russischen Schwarzmeerküste habe um kurz nach acht Uhr (MESZ) zwei Raketen registriert, die vom Zentrum des östlichen Mittelmeers abgefeuert worden seien, und sich dann in Richtung Libanon und Syrien bewegt hätten.
Stunden lang herrschte daraufhin Rätselraten darüber, was es mit der Meldung auf sich hat: Aus keinem Ort in der Region wurden Einschläge von ballistischen Marschflugkörpern gemeldet; alle möglichen Beteiligten schwiegen.
Bis sich dann am Mittag Israels Militär zu Wort meldete und mitteilte, man habe gemeinsam mit dem Militär der Vereinigten Staaten einen Test von Raketenabwehrsystemen unternommen. Wenig später folgte dann auch die US-Marine mit einer Erklärung: Kein amerikanisches Schiff habe eine Rakete abgefeuert, heißt es darin.
Spannung verschärft sich
Das Ereignis trug dazu bei, die ohnehin schon starke Spannung in der Region noch einmal zu verschärfen. Befürchtungen machen die Runde, dass US-Präsident Barack Obama nun doch vor einem Votum des Kongresses Luftschläge anordnen könnte und dass Israel sich entweder daran beteiligen oder sogar eigenmächtig handeln könnte. Beide Regierungen bestreiten dies. Es habe sich bei dem Test des Abwehrsystems wirklich nur um eine Übung gehandelt, so der israelische Militärsprecher: »Wir müssen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.« Und ein Sprecher des Weißen Hauses erklärte, es gebe keine Planänderung: Obama werde abwarten, was der Kongress, voraussichtlich in der kommenden Woche entscheidet.
In der Region hat der Test dennoch für mahnende Worte gesorgt: Eine Beteiligung Israels an einem militärischen Vorgehen gegen Syrien sei eine »rote Linie«, sagte ein Sprecher des saudischen Außenministeriums. Saudi-Arabien ist einer der vehementesten Verfechter eines Militärschlages in der Arabischen Liga: Aus der Syrien-Krise dürfe aber kein regionaler Konflikt werden.
Obama weicht aus
US-Präsident Barack Obama gibt sich derweil in der Frage, ob er den Einsatzbefehl auch im Falle einer Niederlage im Kongress geben wird, ausweichend. Vor einem Treffen mit den Parteiführern im Kongress am Dienstag sagte er, er glaube fest daran, dass der Kongress ein militärisches Vorgehen unterstützen werde. Gleichzeitig wich er allerdings auch von der bisherigen Version ab, der zu Folge Luftschläge rein strafender Natur sein und nicht in den Bürgerkrieg eingreifen sollen. Nun sagte er, man werde Syriens Präsident Baschar al-Assad eine Nachricht senden, aber auch seine Möglichkeiten reduzieren, chemische Waffen zu produzieren und anzuwenden: »Was wir vorhaben, ist etwas Begrenztes, etwas Proportionales. Es wird etwas sein, dass Assads Möglichkeiten einschränken. Wir haben aber auch gleichzeitig eine Strategie, die Möglichkeiten der Opposition ausbauen wird.«
Rückendeckung aus Deutschland
Bei der nach wie vor vor allem zwischen den USA und Großbritannien auf der einen und Russland auf der anderen Seite heiß umstrittenen Frage, ob es tatsächlich die syrische Armee war, die für den Giftgasangriff verantwortlich ist, gibt es nun Rückendeckung aus Deutschland. Gerhard Schindler, Chef des Bundesnachrichtendienstes, erklärte in einem Briefing für Sicherheitspolitiker im Bundestag, dass man die amerikanische Version unterstütze. Nach einer »Plausibilitätsanalyse« gehe man davon aus, dass das Regime Urheber des Giftgaseinsatzes sei. Man sei sich auch bereits jetzt, vor dem Untersuchungsbericht der UNO, sicher, dass es sich bei dem eingesetzten Gas um Sarin handele – darauf deuteten Inhalte eines abgehörten Telefonats hin. Und nur das syrische Regime habe das Know How, dieses Gas anzurühren und ein zu setzen.
Allerdings: Kritiker weisen darauf hin, dass immer wieder Militärangehörige zur Opposition überlaufen und damit mittlerweile auch die Regierungsgegner über Wissen und Kampfstoffe verfügen dürften. Außerdem sagte auch Schindler, wie bereits britische und amerikanische Geheimdienstler vor ihm, dass es keinen endgültigen Beweis gibt.
Russland Präsident Wladimir Putin hat indes Obama ein Gesprächsangebot unterbreitet. Der G20-Gipfel, der Ende der Woche in St. Petersburg stattfindet, sollte zum Dialog genutzt werden: »Natürlich kann G-20 nicht den UN-Sicherheitsrat ersetzen, der allein über einen Militäreinsatz in Syrien entscheiden kann. Aber es ist ein guter Platz, um das Problem zu besprechen. Warum sollten wir die Gelegenheit nicht nutzen?« Noch vor wenigen Tagen hatte es in Moskau noch geheißen, ein Treffen der beiden Politiker sei bei dieser Gelegenheit nicht geplant.
Derweil haben die Vereinten Nationen eine neue Statistik veröffentlicht. Ihr zufolge sind seit Beginn des Bürgerkrieges mindestens zwei Millionen Menschen vor der Gewalt geflohen – mindestens, weil die Statistik nur jene benennt, die den Flüchtlingsstatus beantragt haben. Nicht alle tun das allerdings. Die meisten Flüchtlinge nahmen mit 716 000 der Libanon und Jordanien mit 515000 Menschen auf.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.