Partyträume an der Weser
Die LINKE in Nienburg hat einen schweren Stand - in dem Wahlkreis kandidiert das SPD-Schwergewicht Sebastian Edathy
Plattes Land. Diese Beschreibung kommt vermutlich jedem Auswärtigen in den Sinn, der durch den Landkreis Nienburg fährt. Er liegt in Niedersachsen, irgendwo zwischen Hannover und Bremen. Wer die Bundesstraße 215 entlangfährt, der kommt durch Eystrup, Haßbergen und Rohrsen - Käffer, in denen das Fußballspiel am Samstagnachmittag der Höhepunkt der Woche ist. Links und rechts der B 215 sind Äcker, Maisfelder und ab und an eine Parzelle mit Blumen zum Selbstschneiden zu sehen. Auf einem Schild wird für eine »Ballermann-Party« geworben, an einer Ortsausfahrt auf ein Dorffest hingewiesen. Manchmal geht ein Weg von der Straße ab, auf dem ein Fahrradfahrer gemütlich radelt. So sieht also die niedersächsische Provinz aus.
Es ist Samstag, in der Kreisstadt Nienburg ist Markttag. Die Innenstadt ist mit Menschen gefüllt, die ihren Einkauf erledigen. Jugendliche schieben ihre Mountainbikes durch die Fußgängerzone, quengelige Kinder hängen am Rockzipfel ihrer Mutter, ältere Männer ziehen mit Rollatoren vorbei. Es ist Endspurt im Wahlkampf und die Parteien gehen auf Stimmenfang. So auch die LINKE, die vor einem Telefonladen ihren Stand aufgebaut hat.
»Euch sollte man alle an die Wand stellen!«, »Rotlackierte Faschisten!« So wurden die Genossen in der Vergangenheit beschimpft, erzählt die Kreisvorsitzende Viktoria Kretschmer. Sie kam 1998 aus Sibirien nach Deutschland und arbeitet an der Universität Hannover. Die harsche Ablehnung gegenüber ihrer Partei habe sich zwar geändert, dennoch erfordere es weiterhin »Mut, sich öffentlich für die Partei zu engagieren«, sagt sie.
Die Weserstadt ist für die Linkspartei schwieriges Terrain. Bei der Kreistagswahl vor zwei Jahren hat sie 1,9 Prozent geholt. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren bekam die LINKE im Wahlkreis Nienburg II - Schaumburg 6,2 Prozent der Erst- und 7,6 Prozent der Zweitstimmen.
Angepöbelt wird an diesem Vormittag niemand, im Gegenteil: Die Resonanz auf die LINKE ist nicht viel anders als bei den Grünen, die gegenüber ihre Infomaterial feilbieten. Ein Mann holt sich einen Kugelschreiber ab, ein anderer eine Tüte mit Gummiherzen und wieder einer nimmt sich mit leicht gerötetem Kopf ein Kondom vom Tisch. Eine Familie mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund bleibt auf ein Schwätzchen stehen. »Die Menschen kommen mittlerweile zu uns«, sagt Torben Franz, 18-jähriger Kandidat der LINKEN für den 22. September. Offenbar ist der Jungpolitiker von dem Treiben am Stand überrascht. »Es ist ein schönes Gefühl, wenn man mit den Leuten reden kann.«
Ein paar Schritte weiter haben die Sozialdemokraten ihren Stand aufgebaut. Es herrscht reger Betrieb, eine Band spielt so laut, dass Passanten ihr eigenes Wort nicht verstehen. Ein Kleintransporter parkt neben der Bühne, darauf zu sehen ist Sebastian Edathy, der den Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Nationalsozialistischen Untergrund geleitet hat. Der Mann hat viermal in Folge seinen Wahlkreis geholt, dabei aber rund zehn Prozent der Erststimmen verloren. Man bittet ihn um ein Foto, schüttelt ihm die Hand oder wechselt ein paar Worte.
Die SPD-Wahlhelfer haben sich in den vergangenen Wochen mächtig ins Zeug gelegt. An beinahe jeder zweiten Nienburger Laterne ist ein Plakat von Edathy aufgehängt. Auch die Autofahrer an der B 215 kriegen den Sozialdemokraten häufig zu sehen. Er will den Wahlkreis dieses Jahr nur ungern aus der Hand geben, das merkt man ihm im Gespräch an. Edathy tritt selbstsicher auf, wirkt distanziert und weiß genau, wie er mit Journalisten umzugehen hat.
Was den anstehenden Urnengang angeht, ist der Innenpolitiker indes Optimist. Dass die Umfragen seiner Partei seit Monaten im Keller sind, scheint ihn nicht sonderlich zu stören. Auch nicht, dass eine rot-grüne Mehrheit noch in weiter Ferne ist. Wäre es deshalb nicht an der Zeit, seine Fühler nach links auszustrecken? Edathy winkt ab. Die LINKE sei auf Bundesebene absehbar nicht koalitionsfähig, gibt er gegenüber dieser Zeitung zu Protokoll. Die Hälfte der Linksabgeordneten im Bundestag »lebt auf einem anderen Planeten«, erklärt der Sozialdemokrat. Deutlicher kann man der Linkspartei wohl kaum die kalte Schulter bieten.
Dass die Nienburger LINKEN diesem mächtigen Gegenspieler den Wahlkreis abluchsen könnte, daran glauben sie selbst nicht. Das hält Spitzenmann Franz aber nicht vom Träumen ab. »Wenn ich in den Bundestag einziehe, werde ich von meinem ersten Abgeordnetengehalt eine große Party schmeißen«, sagt er. Und lächelt dabei etwas verschmitzt.
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