Ein Krankenbett in Berlin?
Ukraine rätselt über rasche Lösung für Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko
Julia Timoschenko, die unschuldige »Jeanne d›Arc« der Ukraine, befreit aus den Fängen ihrer undemokratischen Häscher? So kurz vor der Bundestagswahl am 22. September wäre das ein außenpolitischer PR-Coup der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Folgt man der Lesart des deutschen Botschafters in Kiew, ist es in der Tat genau das, woran die Bundesregierung derzeit mit Hochdruck arbeitet: »Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die Causa Timoschenko alles ist, was noch zwischen einem Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine steht«, sagte Christoph Weil in einer in Deutschland völlig unbeachteten Pressekonferenz. Er fügte hinzu: »Eine Lösung des Problems Timoschenko soll daher bis spätestens Ende Oktober gefunden werden.«
Propagandistisch gesehen wäre eine so späte Ausreise der ehemaligen Regierungschefin natürlich denkbar ungünstig. Deshalb brodelt die Gerüchteküche in den ukrainischen Medien. Schon am Sonntag sollte Timoschenko zur Behandlung ihres Bandscheibenvorfalles nach Berlin reisen dürfen. In der Charité bereite man bereits ein Zimmer für sie vor. Dass es aus ukrainischen Regierungskreisen keinerlei Hinweise in diese Richtung gab, schien nicht zu interessieren. Aber warum kümmern sich Bundesregierung und EU überhaupt so intensiv um das Schicksal einer gescheiterten Staatslenkerin?
Vor zwei Jahren war die ehemalige Regierungschefin wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Obwohl der Prozess durchaus als politisch motiviert gelten darf, legen laufende Ermittlungen nahe, dass die Vorwürfe gegen Timoschenko nicht unbegründet sein könnten. Es geht um gewaltige Summen, die die 52-Jährige in ihrer Zeit als Chefin des staatseigenen Gaskonzerns EESU in den 90er Jahren in ihre eigene Tasche abgezweigt haben soll - mehr als 405 Millionen US-Dollar soll Timoschenko der Ukraine schulden.
Zudem sind höhere Interessen im Spiel. Seit mehreren Jahren will die EU ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine auf den Weg bringen, um unter anderem eine Freihandelszone zu etablieren - es geht um die Erschließung eines Marktes und sehr viel Geld. Das Abkommen wäre ein ideales Mittel, um die krisengeschüttelte Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Bedingung für einen Abschluss ist die Freilassung Timoschenkos. Die aber ist in der Ukraine nicht nur wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Seit dem vergangenen Jahr strengt die Staatsanwaltschaft auch noch einen Mordprozess gegen die charismatische Blondine an: Timoschenko soll bei der Ermordung Jewgeni Schtscherbans ihre Finger im Spiel gehabt haben. 1996 war der Geschäftsmann aus der Industriehochburg Donezk am örtlichen Flughafen erschossen worden, mit ihm seine Frau und zwei Bordmechaniker seines Privatjets. Etwa drei Millionen Dollar soll das elfköpfige Killerkommando erhalten haben.
Timoschenko versucht nun aus dem Krankenhaus heraus mit allen Mitteln, ein Assoziierungsabkommen zu verhindern - denn sobald das erst einmal geschlossen ist, schwindet ihre politische Macht noch mehr.
Immerhin einen dürfte eine baldige Ausreise Timoschenkos nach Deutschland jedoch freuen: den ukrainischen Steuerzahler. So kostet der Aufenthalt der »Gasprinzessin« im Charkiwer Eisenbahnerkrankenhaus jährlich rund 35 000 Euro, wie Sergej Sidorenko, stellvertretender Chef der staatlichen Gefängnisbehörde sichtlich resigniert erklärte - ein durchschnittlicher Ukrainer müsse für diese Summe rund zwölf Jahre lang arbeiten. Dabei führt Sidorenko nur die Kosten seiner Behörde auf. Die Behandlungskosten durch die Charité-Ärzte, für die der ukrainische Staat aufkommt, dürften um ein Vielfaches höher liegen.
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