Beigesetzt im Plastikrohr
In Rheinhessen nimmt der Wettbewerb um Billigbestattungen besonders befremdliche Formen an
Horrweiler. Im beschaulichen Horrweiler in Rheinhessen ist ein Friedhofsstreit entbrannt. Es geht um günstige Bestattungen, Fragen der Pietät und umfunktionierte Kanalrohre. Auch wenn inzwischen dichter Rollrasen über dem Urnenfeld auf dem Friedhof des 700-Einwohner-Dorfes wächst, hat sich der Ärger über die Grabfläche noch nicht gelegt. Denn senkrecht in der Erde wurden 700 knallorangefarbene PVC-Rohre installiert. Dicht an dicht sollen sie eine letzte Ruhestätte in Kunststoff-Ausführung werden.
Im Wettbewerb um das billigste Grab war Krematoriumsbetreiber Karl-Heinz Könsgen auf eine Idee gekommen: In die Rohre könnten ja Urnen rein, drei übereinandergestapelt. Macht 2100 Gräber auf engstem Raum, zu haben für je 200 Euro. Die Fläche für das anonyme Gräberfeld hat Könsgen von der Horrweiler Ortsverwaltung gepachtet. Andernorts können anonyme Bestattungen nach Auskunft des Vergleichsportals bestattungen.de auch mehr als 1000 Euro kosten.
Die Urnen für Horrweiler in Rheinland-Pfalz dürften zum großen Teil aus Braubach-Dachsenhausen nahe Koblenz kommen. Dort betreibt Könsgen das Rhein-Taunus-Krematorium. Hier und in sechs über Deutschland verteilten »Partnerkrematorien« übernimmt Könsgens Deutsche Friedhofsgesellschaft mbH in großem Stil die Einäscherung Verstorbener. Die Beisetzung ist dann auf vierzehn Friedhöfen zwischen Essen und dem Bayerischen Wald möglich.
Die Urne im Rohr? »Das ist eine pietätlose Discount-Bestattung«, sagt Edgar Daudistel, Mitglied des Gemeinderats Horrweiler. Seine Fraktion, die Wählergruppe Horrweiler, habe mehr als 100 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen das Projekt gesammelt - doch zu spät. »Der Vertrag war schon unterzeichnet.«
Ohne Ausschreibung
30 000 Euro habe die Gemeinde bekommen, damit die Fläche in den kommenden 20 Jahren für die Urnenbestattung genutzt werden darf. »Ohne Ausschreibung«, sagt Daudistel. Er habe die Unterlagen inzwischen zur Prüfung an die Kommunalaufsicht gegeben.
Der Sprecher der Deutschen Friedhofsgesellschaft, Wilhelm Brandt, verteidigt die Beisetzung in den Rohren. »Andere machen das ja auch.« Michael Albrecht, Sprecher beim Verband der Friedhofsverwalter, glaubt das nicht: Von in Rohren gestapelten Urnen hat er noch nie gehört. »Wenn so was üblich wäre, wüsste ich das.« Der Verband ist von kommunalen und kirchlichen Friedhofsträgern dominiert, nimmt aber auch Mitglieder aus angrenzenden Branchen auf. Könsgen ist drin, Albrecht antwortet dennoch deutlich: »Wir lehnen das komplett ab.« Die stellvertretende Bürgermeisterin von Horrweiler, Christine Jacobi-Becker (SPD), hält auch nach wochenlanger Kontroverse konsequent dagegen. »Ob eine Bestattung von Urnen zum Beispiel in Betonwänden oder Kolumbarien (Nischen in Mauern) pietätvoller ist, bleibt dahingestellt. Pietätlos ist es, wie es die Kritiker tun, von Bestattungen in Kanalrohren zu sprechen, weil hier gewisse gewünschte Assoziationen hervorgerufen werden sollen.« Die 30 000 Euro hätten geholfen, einen »seit Jahren aufgelaufenen Sanierungsstau« aufzulösen.
Ethikkommission soll prüfen
Verbandssprecher Albrecht glaubt nicht, dass diese Rechnung aufgeht: »Die Gemeinde wird vielleicht kurzfristig etwas Geld verdienen, aber sie handelt sich damit auch einen Ruf als Billigheimer ein.« Er sieht am liebsten Gräber mit Namen. Trauer brauche einen Bezugspunkt, sagt er. Viele Angehörige unterschätzten die seelischen Schmerzen, die eine anonyme Bestattung im Nachhinein verursachen könne: »Wir bekommen Briefe, in denen heißt es: Ich komme nicht darüber hinweg, dass das Grab einfach irgendwo auf diesem Feld ist.« Der Verband der Friedhofsverwalter will, dass Hinterbliebene solche Fehler wenigstens nicht aus finanziellen Gründen machen und fordert ein kostenloses Grab für jeden Verstorbenen.
Wegen der Diskussion in Horrweiler will die Deutsche Friedhofsgesellschaft nun eine Ethikkommission einsetzen. Sie soll die Bestattung in den PVC-Rohren überprüfen. Bis Jahresende soll ein »Handlungskatalog mit Empfehlungen« vorliegen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.