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Prädikat: schwertvoll

»Schwerter zu Pflugscharen« - vor 30 Jahren im Lutherhof: zu Wittenberg die spektakuläre Umschmiedeaktion

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Schwert lag beim Hausmeister. Versteckt im Schlafzimmerschrank. Das stille Depot. Dann aber die Klänge: Eisen auf Eisen. Ein Glühen, und ein Singen, ein Beten, ein Feiern. Das Ganze fast unwirklich, denn die lange Vorbereitung bestand aus gelingender Abschottung: keine polizeiliche Schikane, keine Stasi (die Veranstaltung war als harmloser Begegnungsabend getarnt), kein aktuell berichtendes Westfernsehen (nur ein kleines Team würde drehen, ohne jedes Scheinwerferlicht, und die dämmrigen Bilder dann um die Welt schicken). In der Schlosskirche zu Wittenberg waren in einem Disputationsgottesdienst Friedens- und Ökologiethesen diskutiert worden, und in der Nacht, es war der 24. September 1983, schlug der Schmied Stefan Nau im Lutherhof, neben Luthers einstiger Wohnung ein Schwert zur Pflugschar um. Rituell, in geradezu geheimnisvoller Stimmung, wurde das brisante Metall durchs Spalier mehrerer Tausend getragen.

Dies war spektakulärer Höhepunkt jener unabhängigen Friedensbewegung in der DDR, die gegen die parteilich betonierte »Frieden schaffen gegen NATO-Waffen«-Doktrin etwas anderes setzte: »Frieden schaffen ohne Waffen«. So Initiator Friedrich Schorlemmer. Friedfertigkeit als Wesensart, aber auch als Arbeit an den Verhältnissen. Arbeit gegen den »roten Militarismus« von Pädagogik und Propaganda, gegen jene Forcierung von Feindbildern, die von der SED stasihart auch nach innen betrieben wurde. Arbeit vor allem gegen das Denken, sowjetische Mittelstreckenraketen seien friedlicher zu bewerten als die der NATO.

Lange war überhaupt verschwiegen worden, dass sowjetische SS-20-Raketen auf deutschem Boden standen. Überraschenderweise aber sprach Honecker eines Tages vom »Teufelszeug«, ohne zwischen Ost- und West-Vernichtungspotenzial zu unterscheiden. Politischer DDR-Eigensinn? Das beflügelte kritische Kräfte - in vergeblicher Hoffnung auf eine größere innere Liberalität. »Frieden 83« nannte sich jene kirchliche Initiative, die den Spagat versuchte: Bindeglied zu sein zwischen der Diakonie-Leitung, die Rücksicht auf den Staat nahm, und jenen Kräften, die endlich ein klares Wort gegen den Staat wollten. Schorlemmer wurde zum Impulsträger der Gratwanderung.

Schwerter zu Pflugscharen. Jesajas Prophetie. 1980 Motto der ersten gesamtdeutschen Friedensdekade der evangelischen Kirche. Und zunächst ein unscheinbares, aber dennoch auffälliges Flanell-Abzeichen an Parkas und Jeansjacken. Das 1982, nach üblicher Drangsalierungspraxis wider die Träger, verboten wurde. Paradox. Denn nachempfunden war es just einem sowjetischen Kunstwerk in New York: dem Denkmal von Jewgeni Wutschetitsch, einem wuchtig-heroischen Geschenk Moskaus 1959 an die UNO: ein Heros, der das Schwert zur Pflugschar umschmiedete. Staat-Kirche-Pendler Manfred Stolpe handelte einen Kompromiss aus: Das Abzeichen durfte in kirchlichen Räumen weiter getragen werden. Erst das Verbot durch den SED-Staat steigerte freilich den Wunsch vieler Jugendlicher, sich das Symbol anzuheften. Schorlemmer aber gab es fortan nicht mehr an Leute aus, »von denen ich wusste, sie hatten es bis dahin nie getragen. Ich wollte im Streit um die Friedensfrage mehr, als nur die Lust an der Provokation zu befriedigen.«

Erinnerung heute. Abschmecken des Wortes: Frieden. Günter Gaus nannte ihn die Pause zwischen den Katastrophen. Die sehr lange Pause wäre dann schon der große Frieden - meine Generation lebt ihn; noch etwas über zwanzig Jahre, und Deutschland hätte auf seinem Geschichtskonto nicht nur einen Dreißigjährigen Krieg, sondern auch einen hundertjährigen Frieden. Ein Blick in die Welt freilich bestätigt die Ahnung: Vielleicht ist mehr als Pause wirklich nicht drin - wenn man in die Idee vom Frieden einschließt, Frieden mit der Natur des Menschen zu machen.

Der wird leider nie zum Herrn der Freiheit, die sein Recht ist, aber er wird zum Glück auch nie bloß Sklave jener Gier bleiben, die ihm oft genug als Überlebenspflicht eingeredet wird. Was er braucht, schafft er sich, aber was er schafft, missbraucht er auch. Für das, was er kriegen will, wird er schnell kriecherisch; aber das, was er nicht kriegt, stimmt ihn noch schneller kriegerisch. Zumal, wenn ihn die politischen Verhältnisse aufhetzen. Es gibt Reizworte für die Tiefenwirkung von Hetze: Vaterland zum Beispiel, Ehre, Klassenkampf. Hinzugekommen: Terrorgefahr.

Der Mensch kann Schwerter umschmieden, seine eigene Zweischneidigkeit bleibt. Angst vor Feinden führt ihn, Marsch gegen Feinde führt ihn in Irren. Das gefährdet immer wieder auch unsere westliche Gesellschaft, die mit dem Besitz bürgerlicher Freiheiten zweifelsfrei »mehrere Revolutionen weiter ist als der gehabte Sozialismus« (Ralf Dahrendorf).

Der lange Abend 1983 in Wittenberg. Texte von Fried, Biermann, Michalkow, Rennert, Musik von Dieter Trautwein und seiner Gruppe »Baltruweit«. Irgendwann gibt es im Rathaus die Meldung, im Lutherhof brenne es. »Ja, die Herzen« (Schorlemmer). Ehe die Feuerwehr anrücken kann, ist der Hof leer. Da ist nichts mehr zu löschen, aber da würde etwas weitergetragen werden. In einer gesellschaftlichen Atmosphäre der Depression und einer enorm ansteigenden Zahl von Ausreiseanträgen.

Das, was weitergetragen würde, fasste Schorlemmer damals in einen Liedtext: »Lieb dein Land, brich die Wand. Such, was eint, vergib dem Feind. Und sag es weiter.« Die Stasi tobte und hatte also den Bruch mit drei ideologischen Tabus verstanden: Mauerfall, deutsche Einheit, Feindeshass.

Es gibt den Druck der Masse, in dem irgendwann auch innerlich Teilnahmslose mühelos als Mitwirkende gelten dürfen: Herbst 1989. Und es gibt den Mut Einzelner, die ihre Ohmmacht nicht davor schützt, trotz höchster Gefahr couragiert zu handeln - dies war der Mut derer im September 1983. Auf solche Wenige berufen sich dann später alle, die gar nicht dabei und überhaupt nie drin waren im wirklichen Angstkreis. Ohne den in einer Diktatur das wirkliche Freiheitsfeld nicht zu betreten ist.

Halbwegs verlässlicher Frieden ist daran zu erkennen, dass er gelebt, aber nicht geschätzt wird. Wie alles, das gut ist und gut tut. Es gibt kein Glück ohne jene Erstarrung, in der das Unglück auf seine neue Gelegenheit wartet. Aber umgekehrt kann eben auch alles Stürzende zum Stützenden werden. Im Drohenden das Rettende. In größter Angst der größte Freiheitswille. Kleist geht 1800 durch einen Torbogen in Würzburg. Staunt über die Haltekraft des balken-, säulenlosen Gewölbes. »Es steht, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen«. Daraus die Folgerung großen Trostes: »daß auch ich mich halten würde, wenn alles mich sinken läßt«.

In solchem Trost in trostlosester Welt wächst die Kraft jeder wahren Friedens-Bewegung.

Das legendäre Wittenberger Schwert befindet sich heute im Geschichtsmuseum in Leipzig.

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