Taktik frisst Politikwechsel

Dirk Hierschel über das Scheitern von Rot-Grün bei der Bundestagswahl

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Republik hat gewählt. Jeder zweite Deutsche schenkte seine Stimme einer bürgerlichen Partei. Wären Liberale und Eurogegner nicht über die Fünf-Prozent-Hürde gestolpert, gäbe es im Parlament eine deutliche bürgerliche Mehrheit. Das Leben ist aber kein Konjunktiv. Angela Merkels Triumph ist ein Pyrrhussieg. Im neuen Bundestag haben SPD, Grüne und LINKE die meisten Sitze.

Klar ist aber auch: Rot-Grün hat es wieder nicht geschafft. Diesmal scheiterten sie nicht an eigenen Inhalten. Beide Parteien hatten die fortschrittlichsten Wahlprogramme der letzten 20 Jahre. Endlich stellten sie darin die soziale Frage in den Mittelpunkt. Dass ihr Werben für gute Arbeit, sichere Rente und Steuergerechtigkeit nicht erfolgreich war, hat andere Gründe.

Es ist Rot-Grün nicht gelungen, Merkels vermeintliche Wirtschaftskompetenz in Frage zu stellen. Steinbrück, Trittin & Co konnten das Märchen vom Jobwunder nie entzaubern. Zu schwer wog das ideologische Erbe der Agenda 2010. Die rot-grünen Arbeitsmarktreformen wurden weiterhin als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte gelesen, SPD und Grüne beklagten nur, dass Merkel ernte, was Schröder pflanzte. Die oppositionelle Kritik beschränkte sich auf die sozialen Folgen entfesselter Arbeitsmärkte. Daher konnte Merkel nahezu unwidersprochen behaupten, der gespaltene Arbeitsmarkt sei der notwendige Preis für Wachstum und Jobs.

Zudem hatte Rot-Grün ein großes Glaubwürdigkeitsproblem. Ihre Wahlprogramme waren die Antithese zu Schröders Agenda 2010. Peer Steinbrück forderte faktisch die Rückabwicklung großer Teile eigener Regierungsarbeit. Die SPD scheiterte mit dem Versuch, ihre traditionelle Klientel davon zu überzeugen, dass sie es mit der »Sozialen Gerechtigkeit« diesmal wirklich ernst meint. Zu frisch war die Erinnerung an Hartz IV und die Rente mit 67. Arbeiter und Angestellte stimmten mehrheitlich nicht für die »roten Strolche«. In sozialen Brennpunkten gingen ehemalige Stammwähler wieder nicht zur Wahl. Lediglich 380 000 Nichtwähler konnte die SPD für sich gewinnen. Die CDU mobilisierte mehr als dreimal so viel.

Drittens fehlte Rot-Grün eine realistische Machtoption. Mobilisiert wurde allein für ein Bündnis aus SPD und Grünen. Die Weigerung, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, ließ keine Wechselstimmung aufkommen. Selbst als das konservativ-liberale Lager seinen Vorsprung immer weiter ausbaute, hielt man an dieser falschen Strategie fest. Rund sechs Millionen Wählerinnen und Wähler blieben aufgrund der fehlenden Hoffnung auf einen Regierungswechsel zu Hause.

Nach der Wahl ist Rot-Grün in eine strategische Falle getappt. Im Parlament gibt es eine linke Mehrheit. Eine andere Politik wäre möglich. Doch beide Parteien sind Gefangene ihrer eigenen Ausgrenzungsstrategie. Mit der LINKEN geht es nicht, ohne sie aber auch nicht. Die SPD versucht die Quadratur des Kreises: In Sondierungsgesprächen will sie den Preis für eine »Vernunftehe« mit der Union nach oben treiben. Ohne gesetzlichen Mindestlohn, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Reichensteuer, Mietpreisbremse und mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur keine Regierungsbeteiligung, lautet die Ansage. Sollte sich Gabriel im Koalitionspoker mit Merkel durchsetzen, kann das Land tatsächlich sozial gerechter werden.

Dass eine erstarkte Union sich darauf einlässt, darf jedoch bezweifelt werden. Zumal Merkel mit Schwarz-Grün, einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen auch andere politische Optionen hat. So wird ein wirklicher Politikwechsel immer unwahrscheinlicher.

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