Achtsame Linke

Innerhalb der herrschenden Verhältnisse stoßen Schutzraum- und Awareness-Strukturen schnell an Grenzen

  • Michael Ramminger
  • Lesedauer: 4 Min.
Michael Ramminger, seit 30 Jahren Theologe und Internationalist. Hat etwa genauso lange schon was gegen Zäune und Grenzen; gehört zu dem, was man früher mal undogmatische Linke nannte. Obwohl Glaubenswahrheiten nicht immer schlecht sind. Besonders heute.
Michael Ramminger, seit 30 Jahren Theologe und Internationalist. Hat etwa genauso lange schon was gegen Zäune und Grenzen; gehört zu dem, was man früher mal undogmatische Linke nannte. Obwohl Glaubenswahrheiten nicht immer schlecht sind. Besonders heute.

Crisis demands decisionlet’s choose communism. – Tja, das hat die Mehrheit der Bürger_innen bei der Bundestagswahl leider nicht so gesehen. Was natürlich auch keiner von uns erwartet hat. Und was in naher Zukunft in der BRD wohl auch nicht zu erwarten ist. Obwohl es prinzipiell immer möglich ist. Die Krise, oh je! Sie ist und sie ist nicht. »Ich war, ich bin, ich werde sein. Die Revolution wird alle befreie’n.« (Rosa Luxemburg, frei nach Exodus 3,12-14; gesehen bei Blockupy 2013) Ist zwar schon älter, aber immer noch aufregend. So viel Theologie war noch nie.

Wie halten wir das eigentlich aus, mit dieser ganzen »ausbeuterischen Kackscheiße«, wie es auf Aufklebern steht? Wieder mal Tote auf Lampedusa, wiedermal eine Schweinerei hier und dort, tote Kühe und sterbende Menschen in Bangladesch, Rassismus in Hellersdorf und gescheiterte Revolution in Ägypten. Und unsere Aktionen. Wir sind die Guten, aber wie kann man gut damit leben?

Offenkundig treibt diese Frage immer mehr Leute, auch bei uns in der radikalen Linken, um. Was ja auch irgendwie ganz vernünftig ist, um die Zeit zu überbrücken, bis alle den Kommunismus, diese vernünftige Sache, gewählt haben. Die Sache hat aber den einen oder anderen Haken, über den man noch nachdenken muss.

Manchmal entsteht da ein Methodenwahn als Bedürfnis, Ordnung in die Dinge zu bringen, der sich nur haarscharf von neoliberalen Selbstmanagementmethoden unterscheidet. Da, wo z. B. von Stress- und Burn-out-Prophylaxe geredet wird: »Stress ist nicht nur Mitverursacher vieler Erkrankungen, sondern wirkt sich auch in unserem Denken und Handeln aus: Menschen unter chronischer Belastung verhalten sich oft gesundheitsschädigend, bekommen oft große Schwierigkeiten in der zwischenmenschlichen Kommunikation und auch die Arbeit, das politische Handeln oder gar das Verhalten in Gruppen bleibt davon nicht unberührt.« Na, wenn das mal nicht bei Bayer abgeschrieben ist.

Natürlich ist es richtig, die eigene politische Praxis so zu organisieren, dass man nicht vor die Hunde geht. Aber ein kleiner Schritt zurück hinter die eigene Befindlichkeit offenbart die bittere Wahrheit: Als Linke_r im Kampf gegen kapitalistische Verwertungszusammenhänge kann man in dieser Welt sinnvoll leben, aber nicht glücklich werden. Jedenfalls nicht, solange es noch keinen Kommunismus gibt. Wer in dieser Gesellschaft glücklich ist, hat sich den herrschenden Verhältnissen unterworfen.

Und deshalb ist es auch ein hoffnungsloses Unterfangen, aus der eigenen Gruppe, Organisierung oder Bewegung den totalen Schutzraum herstellen zu wollen. So viel Awareness-Strukturen gegen die unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse, die selbstverständlich auch uns durchziehen, kann man gar nicht in Gang setzen. Und während im oben angesprochenen Methodenzwang die eigene Subjektivität hoffnungslos überfordert wird, ist es bei den Awareness-Strukturen die Überforderung des Kollektivs. Durch moralisch extrem aufgeladene Beobachtungsstrukturen, die männliches Dominanzverhalten, rassistische oder sexistische Äußerungen und Praxen, vielleicht noch die Ausgrenzung von Psychiatrisierten etc. verhindern sollen, entsteht kein Vorgriff auf die befreite Gesellschaft, sondern ein neues Diziplinierungssystem, das man hervorragend mit Foucault analysieren könnte. So viel Moraltheologie war noch nie. Wenn in der eigenen Gruppe ernsthaft nichts, aber auch gar nichts anderes vermutet wird, als das, was es gesellschaftlich auch an Herrschaftsverhältnissen gibt, ist der Spaß vorbei.

Unsere Hoffnung auf den Kommunismus, auf die herrschaftsfreie Gesellschaft, hat einen Zeitindex. In der uns allen bekannten Formulierung »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, geht es um eine Zukunft. Nicht, um alles zu verschieben, sondern weil wir wissen, dass wir, selbst wenn wir das wunderbarste Kollektiv aller Welt gefunden haben, immer noch unsere Arbeitskraft zu verkaufen hätten. Und erst ohne das kann alles gut werden. Und das Wissen darum kann doch auch entspannend sein, oder?

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