Weniger Kopfschutz, mehr Attacke

DBV-Sportdirektor Michael Müller über die Auswirkungen der neuen Regeln bei der Amateurbox-WM in Almaty

  • Lesedauer: 5 Min.
Michael Müller ist Sportdirektor des Deutschen Boxsport-Verbandes. Am Rande der Amateur-WM sprach er mit nd-Redakteur Oliver Händler über die Chancen seiner Athleten, endlich wieder einen Titel zu holen, das neue Wertungssystem, die Annäherung an den Profizirkus, und warum die Abschaffung des Kopfschutzes die Gesundheit der Sportler sogar erhöht.

nd: Wie präsentiert sich die deutsche Mannschaft bei der Amateurbox-WM der Männer in Almaty?
Müller: Noch haben wir nichts falsch gemacht. Wir hatten drei Athleten im Einsatz und drei Siege eingefahren. Hamza Touba hat den Auftaktkampf gegen einen Brasilianer gewonnen, Artem Harutyunyan konnte am Tag danach einen Schweden besiegen, und am gleichen Abend war sein Bruder Robert gegen einen Kroaten erfolgreich. Wir liegen voll im Soll.

Sind alle Athleten fit für die WM?
Ja, die Mannschaft ist im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten gut vorbereitet.

Da klingt nach Kritik.
Die Probleme mit der öffentlichen Förderung sind ja bekannt - und es wird immer schlimmer. Das ist keine Kritik, sondern die Feststellung, dass man nur mit dem arbeiten kann, was man zur Verfügung hat.

Wie sah die Vorbereitung denn aus?
Direkt vor der WM haben wir eine so genannte UBV durchgeführt, die »unmittelbare Wettkampfvorbereitung«, kombiniert mit einem internationalen Trainingscamp, bei dem führende Nationen nach Hennef gekommen waren und mit uns gemeinsam Sparring machten. Das ist im Boxen sehr wichtig. Im Normalfall macht man davor noch eine UBV, die erste Anpassungsphase. Die haben wir aber dieses Mal aus Kostengründen gestrichen. Das soll keine Ausrede sein, aber man muss mal öffentlich feststellen, dass im Vergleich zur internationalen Konkurrenz völlig andere Bedingungen herrschen. Trotzdem haben wir die Mannschaft sehr fit hierher gebracht.

Welche Regeländerungen gab es in diesem Jahr vor der WM?
Die entscheidenden Punkte sind der Wegfall des Kopfschutzes und die Einführung des »10-Point-Must«-Punktsystems.

Studien sollen ergeben haben, dass Boxer ohne Kopfschutz sogar weniger Kopfverletzungen oder Gehirnerschütterungen erlitten hätten.
Zunächst möchte ich festhalten, dass die Sportart Boxen die am besten medizinisch abgesicherte Sportart ist. Und sie ist nachweislich nicht die gefährlichste. Und wahrlich hatte der Kopfschutz das Sichtfeld des Athleten stark eingeschränkt. So war die Abwehrfähigkeit gemindert. Das frühzeitige Erkennen von Schlägen fällt schwerer, und deswegen ist die Trefferanzahl in der Regel auch höher mit Kopfschutz. Der versprach auch nur eine Pseudosicherheit. Wenn ich einen Kopfschutz trage, werden nicht alle Schläge vollkommen absorbiert. Die haben auch ihre Effekte. Ohne Schutz wurde wiederum befürchtet, dass es eine große Anzahl von Schnittverletzungen geben werde, doch das ist nicht eingetreten.

In der World Series of Boxing wird mit freiem Oberkörper und über fünf statt drei Runden gekämpft. Warum nicht einheitlich, obwohl doch immer die AIBA der Dachverband ist?
Der Weltverband will ein ganzheitliches Angebot schaffen als Antwort auf das Profiboxen außerhalb der AIBA. So soll verhindern werden, dass die Athleten überhaupt noch ein Interesse daran haben, das sogenannte olympische Boxen zu verlassen. So wird hier die Profisparte mit der WSG, einem Mannschaftswettbewerb über fünf Runden bedient und zusätzlich kommt die APB dazu, ein profiähnliches Boxen über acht Runden, beim Titelkampf über zwölf.

Findet der Weg Ihre Zustimmung?
Immerhin kann man sich sowohl bei der WSG als auch bei dem APB als Profi für Olympia qualifizieren. Das macht es auch viel attraktiver für die Nationalverbände. Die können den Sportlern neben dem traditionellen Amateurboxen jetzt auch noch diese Sonderwege anbieten. Das ist ein interessantes Konzept und jetzt müssen wir sehen, wie es funktioniert.

Das neue Punktesystem entspricht dem, was bei den Profis üblich ist. Dort gab es einige Skandalurteile. Ist auch die AIBA nun anfälliger geworden für Manipulationen?
Das neue System erforderte zunächst, dass Kampfrichter umgeschult werden mussten. Wir wollen hoffen, dass die das gut machen. Und im Unterschied zu den Profis werden bei uns fünf Kampfrichter eingesetzt, aber nur drei ihrer Wertungen durch den Computer ausgelost. Ein Kampfrichter darf eine Runde auch nicht unentschieden werten. Er muss sich immer entscheiden, wer gewonnen hat. Letztlich zählt aber nur die Qualität aller Kampfrichter auf sehr hohem Niveau. Und da hat der Weltverband durch die Einführung der Profikampfrichter nach Olympia 2012 einen Riesenschritt gemacht.

Wie viel Geld verdienen die?
Ich weiß es nicht, habe aber von ca. 100 000 US-Dollar im Jahr gehört.

Sie meinten einmal, all die Neuerungen führten zu einem anderen Boxstil. Können Sie den erläutern?
Den kann man schon bei dieser WM erkennen. Bis 2011 konnte man mit guter Doppeldeckung und nur ein, zwei Treffern gewinnen. Das ist nun ausgeschlossen. Die Kriterien sind Trefferhäufigkeit und Dominanz des Kampfes. Man muss also permanent angreifen, wenn ich die Kampfrichter überzeugen will. Diese Entwicklung gleicht sich auch dem Stil des Profiboxens an. Das ist für die Zuschauer sehr attraktiv.

Kommt das Ihren Boxern zugute?
Man hat geeignete und weniger geeignete. Jetzt müssen schon im Jugendbereich die Ausbildung daran anpassen. Aber das kann jeder lernen. Der eine lernt nur schneller und bei dem anderen dauert es ein bisschen länger.

In 16 Jahren gab es nur einen deutschen Weltmeister. Schafft es einer Ihrer Sportler im Jahr 2013?
Die WM ist ein hochklassig besetztes Turnier. Es ist also eine sehr schwere Herausforderung. Im Sport ist nichts unmöglich, aber auch kaum etwas zu prognostizieren.

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