Gold gewinnt nur, wer klar im Kopf ist

Sportmuffel Niko von Glasow zeigt sich im Film »Mein Weg nach Olympia« beeindruckt von paralympischen Athleten

  • Lesedauer: 9 Min.
Niko von Glasow porträtiert in seinem Film »Mein Weg nach Olympia« vier Einzelathleten und die Sitzvolleyballmannschaft Ruandas vor und während der Paralympics in London 2012. Mit dem selbst contergangeschädigten Regisseur sprach Oliver Händler über Intelligenz von Sportlern und Idiotie von Behinderten, über freiwilligen Humor und die Pflicht zum Happy End.

nd: Ihr neuer Dokumentarfilm heißt »Mein Weg nach Olympia«. Sie nehmen selbst eine große Rolle ein. War das also Ihr Weg nach Olympia oder der der Athleten zu den Paralympischen Spielen in London 2012?
von Glasow: Egomanisch wie ich bin, befürchte ich, es ist mein Weg nach Olympia. Auf dem Weg treffe ich die Athleten. Und er endet ja auch nicht in London bei den Paralympics, das ist nur eine Station. Der Film endet im echten Olympia, in Griechenland.

Stand das beim Drehbeginn fest?
Nein, natürlich nicht.

Was war ursprünglich der Grundgedanke des Films?
Ich bin Filmemacher. Also war der erste Gedanke, einen Film zu machen. Auf die Idee kam nicht ich, sondern Jutta Krug vom WDR. Als ich sie angeboten bekam, habe ich gesagt: »Das ist die blödeste Idee, die ich je gehört habe!« Ich mag keinen Sport, bin übergewichtig. Und ich interessiere mich auch nicht nur für Behinderte. Dann hat sie mich aber überredet, und als ich den Film drehte, hat es mich richtig gepackt. Ich habe entdeckt, dass Sportler doch nicht so doof sind, wie ich dachte. Eigentlich stimmt sogar das Gegenteil: Eine Goldmedaille kann nur gewinnen, wer klar im Kopf ist.

Sie sagen am Anfang des Films: »Sport ist doof und die Paralympics sind eine dumme Idee.« Denken Sie mittlerweile anders?
Auf jeden Fall. Na ja, übertriebener Sport ist wie alles Übertriebene doof. Fundamentalistischer Sport ist einfach keine gute Idee. Aber wenn er professionell gemacht und mit Intelligenz betrieben wird, dann ist er toll. Und die Paralympics waren die beste Party, auf der ich je war. Viel gute Laune und sehr spannend.

Den griechischen Bocciaspieler Grigorios Polychronidis versuchten Sie zu überzeugen, dass die Paralympics zu teuer seien. Er antwortete: »Es wird mehr Geld für Waffen ausgegeben.« Hat Sie das Argument überzeugt?
Nicht wirklich. Oft wird Geld im dem Gut-Getue der westlichen Welt für Behinderte ausgegeben, um sie letztlich doch zu dominieren und zu kontrollieren. Nur Geld auszugeben, heißt noch nicht, dass man was Gutes tut. Im Gegenteil. Dieses sogenannte Helfen geht meistens nach hinten los. Aber die Paralympics sind, wie ich erfahren habe, keine Einbahnstraße. Da wird nicht den armen Behinderten geholfen, ein bisschen schneller rumzuhumpeln. Es herrscht ein Geben und Nehmen zwischen den Veranstaltern und den Sportlern, die viel zurückgeben. Das ist ein guter Deal.

Der Schütze Matt Stutzman aus den USA verrät, dass er mit seinem Bogen Tiere jagt, obwohl er keine Arme hat. Ihre Antwort: »Du tötest mit dem Bogen? Heilige Sch...!« Waren Sie über das Töten überrascht oder darüber, dass er trifft?
Darüber dass er trifft, dass er mit dem Bogen Tiere erlegen kann. An anderer Stelle war ich überrascht über seinen Militarismus, der ja sehr weit verbreitet ist in Amerika. Und nur weil jemand keine Arme hat, macht es ihn noch nicht zu einem Pazifisten.

Die Erkenntnis, dass ein behinderter Mensch auch Militarist sein kann, hat Sie überrascht?
Nein, ich weiß, dass es viele Behinderte gibt, die Idioten sind.

Ist Matt also ein Idiot?
Nein - na ja, in seiner Waffenfanatik ist er einer. Er ist kein ganzer Idiot, nur ein partieller. Darüber haben wir viel gestritten, sind aber trotzdem Freunde geblieben.

Gefragt nach Gründen für ihr Sporttreiben sprechen die Athleten davon, damit die Familie zu ernähren, berühmt oder der Beste sein zu wollen. Hat denn keiner mehr einfach nur Spaß an Sport?
Hier geht es ja um Leistungssport. Der ist mit Spaß nicht zu machen. Das ist so qualvoll und intensiv. Kinofilme zu drehen mach zwar Spaß, ist aber in erster Linie auch sehr harte Arbeit und zum Teil selbstzerstörerisch. Warum machen wir so extremes Zeug? Dahinter steckt eine gewisse Neurose.

In dem Film »NoBody’s perfect« über Menschen, die wie Sie contergangeschädigt sind, wollten Sie Ihre eigene Scham überwinden, sich halbnackt im Schwimmbad zu zeigen. Am Ende des Films liefen Sie so ins Meer. Dieses Mal befasst sich der Sportmuffel Niko von Glasow mit Sport. Treiben Sie nach dem Dreh mehr Sport?
Ein bisschen mehr. Ich gehe mit meinem Sohn in die Muckibude. Vor allem aber habe ich ein besseres Körpergefühl. Ich achte mehr auf meinen Körper, nehme ihn überhaupt war. Als jüdischer Intellektueller bin ich darin nicht gerade begabt.

In beiden Filmen wird viel gelacht. Kann man einen Film über Behinderte nur über das Zwerchfell drehen?
Nein, es gibt viele Wege nach Rom. Das hier ist meine Art zu erzählen und meine Art, Menschen zu betrachten. Ich bin immer beeindruckt von der Fröhlichkeit und der Kraft körperbehinderter Menschen. Ich bin gern mit ihnen zusammen. Auf der anderen Seite beeindruckt mich auch immer wieder die Missmutigkeit und Jammerei der »Normalos«. Bei all der Muffigkeit, die sich in unserer Wohlstandsgesellschaft breit gemacht hat, ist Lachen doch eine gute Idee.

Ursachen für Behinderungen werden nur minimal thematisiert. War das eine bewusste Entscheidung?
Mich interessiert es nicht so sehr, warum jemand behindert ist, sondern: Wie gehen wir mit der Gegenwart um. Die Vergangenheit können wir sowieso nicht ändern.

Der Film ist eine Zusammenstellung von Interviews. Sind Sie eher Journalist als Filmemacher?
Das sind keine Interviews, das sind Begegnungen. Ich sitze diesen Menschen nie gegenüber und halte ihnen ein Mikrofon unter die Nase. Außerdem bin ich kein Journalist, dafür bin ich völlig unbegabt und zu wenig distanziert. Ich mische mich sofort ein, fange sofort an, mich über deren Kleidung lustig zu machen. Ich bin sofort drin und völlig parteiisch.

Haben Sie je nach Doping gefragt?
Nein, Doping interessiert mich auch nicht. Es muss natürlich kontrolliert werden, aber ich glaube, meinen Athleten würde Doping gar nicht helfen.

Matt Stutzman konnte einen offenbar sehr schweren Bogen leicht mit seinen Zehen anheben. Dazu benötigt er viel Kraft.
Wie kann da Doping helfen?

Anabolika könnten das.
Ehrlich?

Natürlich.
Ich kenne mich einfach gar nicht aus. Aber die probier ich mal.

Sie stellen sehr direkte Fragen zu den Behinderungen. Dürfte auch ein Nichtbehinderter die so stellen?
Nein, dürfte er nicht. Im Grunde gibt es aber keine Nichtbehinderten. Insofern geht es doch. Wenn man sich selbst gegenüber ehrlich ist, erkennt jeder Mensch seine Behinderung. Und wenn er die ehrlich darbietet, kann er fragen, was er will - solange es nicht unter die Gürtellinie geht. Man muss Grenzen respektieren, wenn sie gezogen werden. Ich fragte zum Beispiel Grigorios, ob er mir von seinem ersten Kuss erzählt. Doch er sagte: »Nein.« Das respektiere ich.

Sie sagen, einen Film zu bekommen, falle Ihnen schwer. Wird er erst einmal gedreht, könne die Behinderung dann sogar helfen.
Mit der ersten Aussage meine ich nicht, Filmförderung zu bekommen. Als Produzent ist die Behinderung kein Nachteil. Für mich als Regisseur ist sie aber einer, weil mich niemand für größere Filme engagiert. Diesen Job gibt man nur Gewinnern. Ich glaube, eine der besten Ausbildungen der Welt erhalten und bei wirklich guten Leuten gelernt zu haben. Ich spreche fünf Sprachen. Trotzdem bekam ich kein Angebot für einen größeren Spielfilm. Das ändert sich gerade. Aber jetzt bin ich 53. Es wurde langsam Zeit.

Fließt die Förderung leichter für einen Sportfilm als für einen Film über nackte Conterganmodelle?
Nein. Da hatte ich nie Probleme. Ich arbeite super gut mit den Redakteuren und Förderern zusammen, weil ich ziemlich ehrlich bin. Im deutschen Filmfördersystem wird wahnsinnig viel gelogen und geklaut. Das tue ich nicht, und das mögen die. Dieses System macht uns korrupt. Wir fangen an, zu denken, was man gefördert bekommt und wie man das Geld ausgeben kann. Es geht mehr um den Antrag als um die Dramaturgie und die Geschichte. Ich weiß auch nicht, wie man da rauskommt, aber es ist eine deprimierende korrupte Atmosphäre.

Und obwohl Sie ohne Probleme Förderung bekommen, halten Sie sich für nicht korrumpiert.
Doch, das tue ich. Es ist wahnsinnig schwer, denn all die Regisseure, Produzenten, Redakteure und Förderer sind nette Leute. Aber irgendwie ist alles so verlogen. Wir machen Filme, die später keiner sieht. Wir wissen das von vornherein und müssen doch so tun, als hätten wir einen großen Erfolg vor uns. In Deutschland werden wahnsinnig viele Filme produziert - und das offenbar nur, um Filme zu machen. Das ist eine komische Situation. Wir leben alle davon, also ändern wir das System nicht, obwohl wir merken, dass es sehr seltsam ist.

Wenn alles so verlogen ist, wie sind Sie dann ehrlich?
Ich versuche eine Radikalität zu behalten und mich nicht selbst oder andere zu belügen über den potenziellen Erfolg, den ich darstellen müsste. So ist es sehr schwer, Menschen mit einem Film über Behinderte ins Kino zu bekommen. Wenn sie mal drin sind, sind sie total begeistert.

Die sogenannte Superzeitlupe ist aus heutigen Sportsendungen nicht mehr wegzudenken - auch Sie nutzen sie. Ist diese extreme Verlangsamung im Sport unwiderstehlich?
Ich habe sie ja noch überhöht und mit pathetischer Musik unterlegt. Ich glaube, meine Zeitlupen sind viel schöner als normale Zeitlupen. Außerdem wollte ich meinen Sportlern die Ehre geben, die Schönheit ihrer Bewegungsabläufe zu zeigen.

Auch typisch für einen Sportfilm: Mit dem Goldmedaillengewinner endet die Geschichte. Muss ein Sportfilm ein Happy End haben?
Ja, natürlich. Ein Sportfilm muss Geschichten erzählen. Und Geschichten sind wie Spaziergänge: Die müssen immer irgendwo hingehen. Und mir war immer klar, wo ich hin will.

Die Niederlage der Tischtennisspielerin kam nicht infrage?
Nein. Alle Geschichten enden mit einem Happy End. Es ist nur die Frage, wo man aufhört zu erzählen. Es ist viel einfacher, einen Film mit einem schlechten Ende zu erzählen. Aber weder interessanter noch klüger.

Sie litten beim Training, fieberten beim Wettkampf mit. Halten Sie noch Kontakt zu den Sportlern?
Ja, und wie. Nur Matt ist ein bisschen still geworden.

Sport wiederholt sich immer wieder. Gibt es »Mein Weg nach Olympia - Teil 2, Rio 2016«?
Wenn mir jemand den Auftrag gibt, mache ich es.

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