Fast hätten sie bin Laden gehabt
Sächsischer NSU-Untersuchungsausschuss ermittelt im »Blaulichtmilieu«
Hätten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie ihre mutmaßliche, nun angeklagte Kumpanin Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen Anfang 1998 nicht doch gefasst werden können? Bevor sie zehn Menschen aus zumeist rassistischen Gründen töteten, bevor sie Bomben legten und Banken ausraubten?
Dass die drei Jenaer Bombenbastler zunächst in Chemnitz untergetaucht sind, war den Zielfahndern des Thüringer Landeskriminalamtes nicht verborgen geblieben. Den Verdacht übermittelten sie den Chemnitzer Kollegen vom Staatsschutz. Stimmt, der Kollege Sven Wunderlich habe »mal angerufen und darum gebeten, die Augen offen zu halten«, erinnerte sich der damalige Chemnitzer Staatsschutz-Kommissiariatsleiter Ulrich Pester. Der - wenn er als Polizist so agierte, wie er am Freitag als Zeuge auftrat - eine völlige Fehlbesetzung gewesen sein muss. Man nannte dem Zeugen ein Dutzend Namen führender Neonazis aus Chemnitz. Sie sind mehrfach auch in den Akten des Chemnitzer Staatsschutzes zu finden. Pester druckste herum, kannte dann immerhin fünf - vom Hörensagen. Fragten Abgeordnete nach Details zur militanten Blood&Honour-Bande, die als Unterstützernetzwerk des NSU agierte und in Chemnitz starke Bastionen hatte, erzählte der Ex-Staatsschützer etwas von »Musikszene«.
Dabei hatten die »Musikfreunde« Jan Werner und Thomas Starke bundes- und europaweite Kontakte. Werner sollte dem Trio Waffen verschaffen, Starke tat das erste NSU-Quartier in Chemnitz auf. Im November 2000 stellte das sächsische Landeskriminalamt (LKA) bei ihm auch ein Notizbuch sicher, in dem die Geburtstage von Zschäpe und Mundlos zu lesen waren. Was folgte daraus? Wenig. Zunächst ermittelte eine Staatsanwältin sehr engagiert gegen Blood&Honour. Dann wurde sie versetzt, ihr Nachfolger zeigte weniger Interesse. Dafür blieb das Berliner LKA am Ball. Es erhob Starke zur »Vertrauensperson«.
Doch der vor Ort zuständige Pester wusste noch am vergangenen Freitag von nichts. Auf Nachfragen reagierte er beleidigt: »Ich weiß gar nicht, was sie von mir wollen?!« Dabei behauptete er, dass sein Staatsschutz »80 Prozent der Kräfte gegen den Rechtsextremismus eingesetzt hat«. Jedenfalls bis zu den Attentaten in New York am 11. September 2001. Dann habe sich die Blickrichtung geändert, Ausländerextremismus wurde wichtiger und im Gegensatz zu dem NSU-Fall gab es konkrete Hinweise auf islamistische Terroristen. Sogar auf einen möglichen Unterschlupf von Osama bin Laden. In einer leergezogenen Wohnung habe ein verdächtiger Zettel gelegen, erinnert sich der Hauptkommissar a.D. Zu dumm, dass der Al-Qaida-Terror-Fürst nie in Chemnitz war. Noch dümmer, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe keine Zettel ausgelegt haben. So habe man eben keine Maßnahmen zur Ergreifung der Neonazis einleiten können, sagte Pester störrisch.
Was aber nicht stimmt, denn LKA-Kollegen und der sächsische Verfassungsschutz tummelten sich mehrfach in Chemnitz, beobachteten Wohnungen, hörten Telefonanschlüsse ab, sprachen mit mutmaßlichen Unterstützern. Ohne die örtliche Polizei einzubeziehen. Was insbesondere Pesters damaliger Stellvertreter und heutige Chef des Chemnitzer Staatsschutzes bedauert. Der heißt Jürgen Kliem und ist sicher nicht nur ob seines Kaiser-Wilhem-Bart »bekannt wie ein bunter Hund« in der Erzgebirgsstadt.
Kliem kennt sich im Gegensatz zu seinem Ex-Chef in der Neonazi-Szene aus. Er weiß auch, dass Mundlos 1994 bereits in Chemnitz auffällig geworden war. Gleiches trifft auf Böhnhardt zu. Obwohl in den Polizeirevieren Fahndungsplakate zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hingen, recherchierte kaum einer gründlich.
Ein Mann wie Kliem - richtig geleitet - wäre gewiss hilfreich gewesen bei der Suche nach dem NSU. Doch die Leute von den Landeskriminalämtern in Dresden und Erfurt kochten lieber ihr eigenes Süppchen. So wie die Beamten von den Landesämter für Verfassungsschutz Vor-Ort-Kenntnisse wohl nicht nötig hatten.
Kliem, der auch mehrfach Kontakt zu Jan Werner hatte, meint, dass der sicher für »irgendwelche Dienste« gearbeitet hat. Natürlich nicht für die Polizei, denn die durfte ja keine V-Personen führen, sagt der Kriminalhauptkommissar. Auch die Landesregierung beschwört das und Pester erinnert sich, es habe nicht einmal einen Haushaltstitel zum bezahlen von V-Leuten gegeben.
Offenbar fand man dennoch Wege. Denn nach »nd«-Erkenntnis hat Kliem zumindest einen V-Mann geführt. Es soll sich um einen ehemaligen Polizisten handeln, der sich in einer psychischen Zwangslage befand. Er sollte über die Gründung und die Aktivitäten der Kameradschaft »Sturm 34« berichten. Als es zum Prozess gegen die militanten Neonazis kam, wurde besagter Matthias R. plötzlich als Rädelsführer vorgeführt. Seine V-Mann-Akte hätte ihn womöglich entlastet, doch das sächsische Innenministerium verweigerte die Herausgabe. Aus Gründen des Staatsschutzes, heißt es.
Die Ermittlungen im Blaulichtmilieu gehen in dieser Woche weiter. Am Montag sind Staatsschützer vom LKA in Dresden geladen.
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