Mit der Theorie der zwei Extreme gegen soziale Bewegungen
In Griechenland geht die Regierung verstärkt gegen linke Aktivisten vor
In Griechenland geht die Sparpolitik mit einer Ausweitung der Repression einher - an der Stelle wird nicht gespart. Die Regierung unter Antonis Samaras wendet wieder Gesetze und Praktiken aus der Zeit der Militärdiktatur an und setzt grundlegende Rechte aus. Dies ist nicht verwunderlich, schließlich geht laut Regierungskreisen von Demonstrationen und Streiks in Krisenzeiten eine »immense Gefahr für die nationale Einheit« aus. Der Polizeieinsatz gegen die Bewegung der Empörten im Frühsommer 2011 auf dem Syntagmaplatz kann als ein Zeichen einer neuen Qualität autoritärer Krisenlogik gelten. Wenig später folgte eine Repressionswelle gegen soziale Zentren und Besetzungen, und gleichzeitig verschärften sich die staatlichen Maßnahmen gegen Geflüchtete. Das wiedereingeführte »Rekrutierungsgesetz« brach den Streik der U-Bahn-Mitarbeiter_innen und der Seearbeiter und verbot präventiv einen Streik der Lehrer_innen zur Abiturzeit. Aktuelles Beispiel ist die erneute Kriminalisierung der Bewegung, die sich gegen den Bau neuer Goldminen engagiert.
Politisch flankiert wird dies durch die Anwendung der Theorie der zwei Extreme, die griechische Variante der Extremismustheorie, basierend auf Analysen des Beraters des Premiers und ehemaligen linkspolitisch engagierten Chrysanthos Lazaridis. Somit wird neben der aktuellen Verfolgung der Neonazipartei Goldene Morgenröte eine Politik der Nulltoleranz in alle Richtungen propagiert und rechte mit linker Gewalt gleichgesetzt. Vor allem die linke Oppositionspartei Syriza wird so zum Beispiel für den Anstieg von politisch motivierter Gewalt verantwortlich gemacht.
Aktuell trifft dies vor allem die öko-soziale Bewegung auf der Halbinsel Chalkidiki. Die Investition des kanadischen Unternehmens Eldorado Gold mittels seiner Tochterfirma Hellas Gold im Wert von einer Milliarde Euro ist für die Regierung von enormer Bedeutung. Laut Premierminister Samaras gilt es, »diese Investition um jeden Preis zu schützen«. Viele weitere Projekte, vor allem auch der Abbau von Edelmetallen wie in Kilkis oder Alexandroupoli, warten auf grünes Licht. Scheitert das Projekt in Chalkidiki am Widerstand der Bevölkerung, kann das auch das Aus für alle anderen Projekte bedeuten, gegen die sich zivilgesellschaftliche Protestbündnisse gegründet haben.
Die Regierung Samaras antwortet auf den Protest mit Repressionen. Anfang März wurden in Ierissos vier Menschen mitten in der Nacht von Spezialeinheiten verhaftet und ihre Wohnungen durchsucht. Zwei von ihnen wurden am 14. Oktober vorerst entlassen, die anderen zwei befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft. Um die lange Zeit der Untersuchungshaft zu rechtfertigen, fallen die Anklagepunkte bewusst schwer aus. Sie umfassen meist den Bau, den Transport und die Nutzung von Explosivstoffen, Mordversuch sowie Angriffe auf die Polizei. Im September dieses Jahres wurden 27 weitere Personen aus Halkidiki und Thessaloniki schwere Straftaten vorgeworfen. Anfang Oktober gab es erneute Anklagen gegen 55 weitere Aktivisten wegen minderer Vergehen wie »Beleidigung von Polizeibeamten« oder »nicht Befolgen von Polizeianweisungen«.
Die Bewegung soll stigmatisiert werden, indem eine »kriminelle Vereinigung« konstruiert wird. Darüber war man sich auch auf einer Solidaritätsveranstaltung im Arbeiter_innen-Zentrum in Thessalonki am 10. Oktober einig. Die Gründung, Mitgliedschaft oder Unterstützung dieser stellt in Griechenland eine Straftat dar. In den Akten finden sich nun mehr als 2500 Seiten Abhörprotokolle von Mobiltelefonen. Einträge auf Blogs und Webseiten deklarieren die Ermittlungsbehörden als Aufrufe zu Straftaten und dienen ihnen als Beweis, dass es sich um kriminelle Vereinigungen handelt. Verdächtigt werden unter anderem auch Anwälte, die Kontakt zu Beschuldigten bzw. zur widerständigen Bevölkerung haben. Im Zuge der Ermittlungen wurden mehr als 250 DNA-Proben von Personen genommen.
Die Bewegung aus Chalkidiki veranstaltete mit Hilfe der Solidaritätsversammlungen aus Thessaloniki am 5. Oktober ein Konzert mit namhaften griechischen Künstlern. Dabei wurden rund 150 000 Euro für die Anti-Repressionskasse gesammelt. Eine zentrale Demonstration wird folgen.
Auch deutsche Aktivist_innen befassen sich mit der Theorie der Extreme: Auf einer Veranstaltungstour durch Griechenland der Roten Hilfe, der Kampagne 129ev und der Gruppe Außer Kontrolle aus Dresden wurde eine Verbindung zur langjährigen Anwendung der Extremismustheorie in Deutschland gezogen und vor allem die aktuelle Entwicklungen in Chalkidiki diskutiert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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