Wenn Anwälte ermitteln
Prozess in München, Prozess in Wels - es geht um militante Nazis
Folgt man dem Prozessgeschehen in München, wo seit Mai gegen fünf Mitglieder und Unterstützer des rechtsextremistischen Terrornetzwerkes NSU verhandelt wird, hat man so manches Déjà-vu. Was dort als Neuigkeit verhandelt wird, ist von diversen Medien und Untersuchungsausschüssen schon hinreichend recherchiert worden.
So ist es auch mit der Verwirrung um den Namen des fünften der insgesamt zehn Mordopfer des NSU. Wer starb am 25. Februar 2004 in Rostock wirklich? Yunus Turgut (wie es auch in der Anklageschrift heißt) oder Mehmet Turgut?
Ein Kriminalpolizist aus Rostock klärte gestern abermals auf: Yunus und Mehmet Turgut waren Brüder. Bei der Ausstellung ihrer Papiere hat ein türkischer Angestellter die Namen verwechselt. Niemand störte sich daran. So kam es, dass Mehmet aktenamtlich als Yunus starb - der gestern leibhaftig vor Gericht erschien. In der Mordsache selbst brachte diese abermalige Erklärung gar nichts.
Der geringe Erkenntnisgewinn, den das Oberlandesgericht in München bislang erlangen konnte, hat mit zahlreichen, objektiv wie subjektiv begründeten Ermittlungslücken der Polizei zu tun. So versuchen sich ab und an Nebenklageanwälte als Detektive. Das ist zu begrüßen, aber bislang selten ertragreich. Noch ist unklar, was aus einem am Dienstag eingereichten Antrag der Yozgat-Vertretung folgt. Halit Yozgat war im April 2006 in einem Kasseler Internetcafé hingerichtet worden. Zur Tatzeit war der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme im Café - und hatte angeblich nichts bemerkt. Nun vergleichen Yozgats Anwälte Markierungen in einem Kassel-Stadtplan der mutmaßlichen NSU-Mörder mit dem Arbeitsweg von Temme. Fünf von neun Markierungen passten. Zwei weitere kämen hinzu, legt man den Weg des Geheimdienstmannes zu einem dienstlichen Postfach dazu. Doch reicht das, um ihn als »Aufklärer« der Mörder zu verdächtigen?
Ungewiss ist auch die Beobachtung einer Zeugin aus Nürnberg. Sie will die Frau des Mördertrios, Beate Zschäpe, am 9. Juni 2005 - also am Todestag von Ismail Yasar - an einer nahe Supermarktkasse gesehen haben. Möglich. Oder auch nicht. Vor Wochen war eine andere Zeugin sicher, das Mördertrio 2006, kurz vor dem Mord an Mehmet Kubasik, in Dortmund auf einem Nachbargrundstück gesehen zu haben. Vermutlich irrt sie sich.
Am gestrigen Mittwoch begann vor dem Landgericht Wels in Niederösterreich ein Prozess gegen sieben Führer des »Objekt 21«. Gegen drei weitere wird laut Justizministerium in Wien noch ermittelt. Zwei Verfahren wurden bereits im Sommer in erster Instanz abgeschlossen. Dabei ging es um Raubüberfälle und eine Bordellbrandstiftung.
Die Nazibande mit intensiven Beziehungen zum Organisierten Verbrechen gilt in unserem Nachbarland als größte und gefährlichste seit Kriegsende. Die Anklage spricht von Brandstiftung, illegalem Waffenbesitz, Erpressung und Entführung sowie nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Der Name des Netzwerkes »Objekt 21« bezieht sich auf das Quartier der Gruppe auf einem Bauernhof im Bezirk Vöcklabruck zwischen Linz und Braunau. Der Verein wurde Anfang 2011 wegen sogenannter nationalsozialistischer Wiederbetätigung aufgelöst.
Die 200 Anhänger starke Kameradschaft aus Österreich hatte enge Beziehungen nach Thüringen. Ende August hatte es auch hierzulande Durchsuchungen mit Waffenfunden gegeben. Steffen M. aus dem thüringischen Crawinkel - der Ort liegt an der Bundesstraße 88 - und Andreas P. aus Gotha waren festgenommen worden. Auch zu Norman B., einem Gründer diverser Kameradschaften in Nordrhein-Westfalen und Bayern, gab es Kontakte. Bei Naziaufmärschen in Dresden (Sachsen) waren Abgesandte vom »Objekt 21« anzutreffen. Philip T., ein anderer Thüringer Neonazi, sitzt im österreichischen Korneuburg in U-Haft, um sich wegen NS-Wiederbetätigung und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu verantworten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.