- Kommentare
- Kolumne
Wissen und wissen wollen
Kathrin Zinkant über die Ähnlichkeiten zwischen Gehirn und Kirche, die Limburger Doppelbadewanne als BER-Ersatz und das Mobiltelefon der Kanzlerin
Es wird zu oft behauptet, dass Glaube und Wissenschaft gegensätzliche Phänomene seien. Dabei gibt es unheimlich viele Ähnlichkeiten. Mit der katholischen Kirche etwa verhält es sich wie mit dem menschlichen Gehirn: Je tiefer man in den Nebel der Behauptungen und Hypothesen vordringt, je mehr konkrete Details man erforscht, desto unverständlicher wird die ganze Konstruktion.
Für die Neurobiologie erscheint das Dilemma dabei vielleicht ein bisschen größer als für die Kirche, weil es hier ja um die Erforschung des Denkens selbst geht. Warum der Mensch denkt, und wie, nicht zuletzt auch was und warum, und wenn sich dann zeigt, dass das Nachdenken und Wissenwollen keinen rationalen Fortschritt bringt, auch nicht beim Verständnis des Denkens - nun ja. Es gibt für alles eine elegante Lösung.
So bedauerte der britische Biologe Thomas Henry Huxley, auch bekannt als »Darwins Bulldogge«, zwar die Tragödie der Wissenschaft, dass nämlich jede noch so schöne Hypothese durch eine hässliche kleine Tatsache erschlagen werden könne. Aber, und das war Huxleys geniales Vermächtnis: Wer das akzeptiert, kann auch mit Behauptungen leben, die sich nicht so einfach widerlegen lassen.
Womit wir wieder bei Gott wären. Ob es einen gibt, irgendwo im Vorzimmer eines seinerseits mutmaßlichen Multiversen-Schaums, kommt vielleicht niemals raus. Stattdessen musste sich die weltliche Vertretung Gottes in dieser Woche damit auseinandersetzen, dass ihr heiliger Schein von einer hässlichen kleinen Tatsache namens Gier erschlagen zu werden droht.
Man kann nicht behaupten, dass die Leute viel Kenntnis über den christlichen Gedanken der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bewiesen hätten, solange Papst Franziskus noch über seine Unterredung mit Franz-Peter Tebartz-van Elst schwieg. Heiner Geißlers Idee zum Beispiel, »T.v.E.« statt zurück nach Limburg geradewegs nach Afrika zu schicken, als Gegenflüchtling quasi, damit er dort zwischen all diesen schrecklich armen Menschen, fern der heimischen Doppelbadewanne, von Reue erfasst wird - da hat einer noch nicht ganz mitbekommen, dass Benedikt längst in Rente ist und dass sein Nachfolger eine abweichende Auffassung von Afrika, Armut und Strafe im Kontext katholischer Aufgaben pflegt, was zumindest sympathischer erscheint als der latente Rassismus eines Expolitikers.
Und wenn man dann noch an die von tiefer Gram gezeichneten Gläubigen denkt, die sich in den Tagen vor dem päpstlichen Urteil fest davon überzeugt zeigten, dass ihr Bischof eine Rückkehr auf keinen Fall verdient hat und weg muss, egal eigentlich, wohin, dann wird die Versuchung der Schadenfreude jetzt doch verdammt groß: Limburg bleibt bis auf weiteres T.v.E-positiv und kriegt für die ersten Monate auch noch ein bischöfliches Kindermädchen an die Seite gestellt, während der Schuldige Urlaub macht. Mehr Strafe war eigentlich gar nicht möglich, und zwar für die Gläubigen und den Bischof gleichermaßen. Wobei jetzt auch nicht unbedingt größere Klarheit darüber herrscht, ob der Papst wirklich ein barmherziger Christ ist, wenn er seinen Bischof jetzt in diese »Vorhölle« schickt, statt an einen Ort, an dem er tatsächlich einmal Gutes tun könnte.
Ja, es ist eben kompliziert und wird komplizierter, je mehr man weiß. Was in anderen Zusammenhängen aber auch beruhigend sein kann. Für die Bundeskanzlerin zum Beispiel, deren Mobiltelefon wohl von US-Geheimdienstlern geknackt worden ist. Aber selbst wenn im Handy alles - von Mindestlohnplänen bis hin zu den SMS an Gerhard Schröder nach der Bundestagswahl 2005 - gespeichert sein sollte, sieht man die US-Amerikaner vor seinem inneren Augen schon vor den extrahierten Informationen stehen, wie sie sich am Kopf kratzen und murmeln »These Germans ... Now I understand less than before«.
In ihrer Verzweiflung zusammentun können sie sich immerhin mit den Einwohnern der deutschen Hauptstadt, die durch die neuesten Enthüllungen über BER, das Berliner Äquivalent zum Limburger Bischofssitz, auch nicht schlauer in der Frage geworden sind, wer erstens schuld an der Kostenexplosion auf der Flughafenbaustelle ist, und zweitens, wie teuer das dann am Ende wirklich wird. Wobei hier schon die Wirkung einsetzt: Man will es eigentlich gar nicht mehr so genau wissen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.