Wunschdenken und Wendepunkt
Zur Diskussionen bei der SPD-Linken nach der Wahlpleite und vor der Regierungsbeteiligung
In der »Frankfurter Allgemeinen« ist in dieser Woche ein Text über die Parteiflügel der SPD erschienen. Mit dem Titel »Die kleinen Trompeter« mag das Stück etwas über den seltsamen Humor einer Zeitung aussagen: Es geht in dem Beitrag vorderhand um die sozialdemokratische Linke, was diese mit der Geschichte des 1925 von einem Polizisten erschossenen KPD-Mitglieds Fritz Weineck zu tun hat, bleibt rätselhaft. Allerdings ist die Lage der Parteilinken unter dem SPD-Dach ganz gut zusammengefasst; jedenfalls was die Personallage und die Konflikte angeht. Inhaltlich interessiert sich die FAZ nicht so sehr dafür, das eigentlich Politische wird gleich zu Beginn im Sammelbehälter »ideologisches Sektierertum« entsorgt.
Wer wissen will, was gerade bei den SPD-Linken diskutiert wird, muss suchen. Bei der ins Schleudern geratenen Plattform DL21 findet man bisher kein Wort zu den seit Tagen im Raum stehenden Berichten über Austritte und interne Differenzen. Vom »Berliner Kreis«, der die Aktivitäten der SPD-Linken auf neue Weise bündeln (und wohl auch die DL21 an den Rand drängen) sollte, ist mehr auch nicht bekannt als dass es ihn seit einer Weile gibt. Die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion vertreibt zwar eifrig Pressemitteilungen ihrer Mitglieder, eine aktuelle strategische oder sonstwie über das Tagesgeschäft hinausgehende Wortmeldung zur Lage sozialdemokratischer und linksreformerischer Politik ist von ihr allerdings auch nicht bekannt.
Wenn überhaupt scheint eine Debatte über Stand und Zukunft linker sozialdemokratischer Politik in der spw stattzufinden, deren neue Ausgabe soeben erschienen ist. Kai Burmeister und Stefan Stache diskutieren in einem Beitrag »das Problem der Glaubwürdigkeit« der SPD, das sie als Basis des »konservativen Triumphs« bei der Bundestagswahl ausmachen. »Eine Mehrheit der Bevölkerung nimmt die Schieflagen sozialer Gerechtigkeit wahr und würde die Forderungen des SPD-Regierungsprogramms unterstützen. Doch viele der möglichen Wähler misstrauen der Partei noch immer. Die tiefe Verunsicherung ist eine Hinterlassenschaft der Schröder-Ära«, heißt es dazu.
Hinzu kommt Burmeister und Stache zufolge, dass die SPD »die diskursiven Widersprüche zwischen Politik für mehr Gerechtigkeit und Lob der marktliberalen Agenda 2010« nicht ausgefochten, »sondern im Regierungsprogramm fixiert« habe. »An der Türschwelle lassen sich solche Brüche nicht freundlich wegdiskutieren«, heißt es mit Blick auf den Wahlkampf der SPD weiter. Zudem hätten SPD und Grüne mit ihrer Entscheidung, keine reale Machtoption anzubieten, »die Mobilisierungsbremse« gezogen. Eine Verweigerung der rot-rot-grünen Option, strategisch von der SPD-Spitze mit dem Ziel verknüpft, die Linkspartei im Westen kleinzuhalten, sei »als Wunschdenken« entlarvt.
Letztlich habe »es keine der Parteien im Linken Lager« vermocht, »ihre Themen der Gerechtigkeit und der Energiewende wirksam zu setzen«; auch fehlte es »an kritischen Ereignissen, die als Katalysator einer Polarisierung zwischen den Lagern dienen konnten«, so Burmeister und Stache. Beide sehen die SPD angesichts der wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung an einem »Wendepunkt« und die »Gefahr eines programmatischen Roll-back« als sehr real an. »Eine Regierungsbeteiligung ohne progressive Substanz würde aber nicht nur der SPD schaden, sondern die Mehrheitsfähigkeit der gesamten Linken dauerhaft verbauen.«
In dem spw-Heft findet sich ein weiterer Beitrag von Niels Annen und Oliver Kaczmarek, die darauf hinauswollen, dass die SPD zwar die »richtigen Inhalte« im Wahlkampf vertreten aber dennoch verloren habe, weshalb sie sich nun bemühen müsse, »ihre gesellschaftliche Verankerung« zu erneuern. Es sei, heißt es weiter, bisher nicht gelungen, »eine in sich geschlossene Erzählung als Grundlage dafür zu entwickeln, die etwa die Philosophie des sozialen Aufstiegs mit der ökonomischen und gesellschaftlichen Modernisierung verbindet«. Es fehle der SPD »offensichtlich eine mobilisierende Leitidee, die eine milieuübergreifende Wirkung und Gemeinsamkeit entfaltet«.
Annen und Kaczmarek, beide Bundestagsabgeordnete, verweisen auf die Verluste in sozialdemokratischen Kernmilieus bei der Wahl im Herbst und schreiben, dass so »der gelegentlich selbst gestellte Anspruch von der SPD als soziale Bewegung« immer schwieriger eingelöst werden könne. Die Sozialdemokratie müsse »ihre Antennen in die Gesellschaft erneuern«, wozu die Parteilinke gefordert sei: Diese solle »Orientierung geben und gestalten wollen«, was aber offenbar so verstanden werden soll, dass der linke Flügel vor dem Hintergrund einer Regierungsbeteiligung »eine konstruktive Rolle« spielen müsse. Das klingt bei Burmeister und Stache anders, die fordern, »den Gang in die Opposition als ebenso legitime Alternative« zu vertreten.
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