Sieben Jahre ohne Einsicht

Ein Sozialwissenschaftler will Einblick in seine Verfassungsschutzakte

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Bundesverwaltungsgericht hob ein Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichts auf. Dieses muss nun neu darüber entscheiden, ob der Verfassungsschutz Akteneinsicht gewähren muss.

Das Berliner Sozialforum, im Jahr 2003 gegründet, wurde von Beginn an von V-Leuten des Berliner Verfassungsschutzes und des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz überwacht. Sogar der damalige oberste Dienstherr der Berliner Verfassungsschützer, der frühere Innensenator Ehrhart Körting (SPD), musste einräumen, hier sei »wahrscheinlich zu unsensibel und zu undifferenziert Material aufgehoben« worden. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied nun über den Anspruch eines Mitglieds des Sozialforums auf Akteneinsicht und Auskunft.

Schon im Juni 2006 hatte der Sozialwissenschaftler Wolfgang Fehse beim Berliner Verfassungsschutz einen Antrag auf Auskunft gestellt, welche Informationen dort über ihn gespeichert sind. Nachdem der Geheimdienst ihm damals mitgeteilt hatte, dass zu seiner Person wegen der »Beobachtung linksextremistischer Bestrebungen« Informationen gespeichert seien, in die er jedoch aus »Gründen des Schutzes der Arbeitsweise, Nachrichtenzugänge und schutzwürdigen Interessen Dritter« keinen Einblick nehmen könne, wartet Fehse seit sieben Jahren auf Akteneinsicht. Hoffnung hatte er zunächst vor knapp sechs Jahren geschöpft, als das Verwaltungsgericht Berlin 2008 zu seinen Gunsten entschieden, den Ablehnungsbescheid des Berliner Innensenats aufgehoben und die Behörde zu einem neuen Bescheid verpflichtet hatte.

Dazu kam es aber nicht, da Berlin mit seiner Berufung gegen dieses Urteil im November 2011 vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erfolgreich war. Der zwölfte Senat änderte damals die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts und wies die Klage Fehses komplett ab.

Die wesentliche Begründung des Oberverwaltungsgerichts, spielte am Mittwoch bei der Revisionsverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine entscheidende Rolle. Damals hatte das Gericht in Berlin entschieden, es sei Fehse anzulasten, dass er es versäumt und unterlassen habe, einen Antrag auf ein Zwischenverfahren zu stellen, bei dem die Geheimhaltungsgründe überprüft werden können. Der sechste Senat des obersten deutschen Verwaltungsgerichts vertrat eine komplett andere Rechtsauffassung, hob das Urteil auf und verwies das Verfahren zur Neuverhandlung zurück (Aktenzeichen: BVerwG 6 C 22.12).

»Der Senat ist der Auffassung, dass sich aus Paragraf 99 der Verwaltungsgerichtsordnung eine solche Obliegenheit für den Kläger, der um Auskunft ersucht hat, nicht herleiten lässt«, erklärte der Vorsitzende Richter Werner Neumann. »Es ist ein legitimes Verhalten eines Klägers, von einem solchen Antrag abzusehen.« Paragraf 99 sieht vor, dass sowohl Fehse als auch das Land Berlin einen Antrag auf ein Zwischenverfahren, ein sogenanntes In-Camera-Verfahren, hätten stellen können, bei dem das Gericht die geheimen Unterlagen daraufhin überprüft, ob die Geheimhaltungsgründe rechtmäßig sind. »Es gilt für beide Seiten, also auch für das beklagte Land Berlin, dass sich eine Obliegenheit, einen Antrag auf ein In-Camera-Verfahren stellen zu müssen, nicht aus Paragraf 99 der Verwaltungsgerichtsordnung bestimmen lässt«, so Neumann.

Die Leipziger Richter entschieden nicht abschließend über den Fall. Bei Revisionsverfahren kann das Bundesverwaltungsgericht nur prüfen, ob Bundesrecht oder europäisches Recht verletzt worden sind. »Wir müssen das Verfahren zurückverweisen, weil dann wieder Berliner Landesrecht angewandt werden muss«, erläuterte Richter Neumann. Fehses Anwalt Sönke Hilbrans erklärte, mit dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts schon eine Entscheidung gehabt zu haben, »die uns entgegenkommt ist«, und hofft, dass »das Oberverwaltungsgericht das Landesrecht zu unseren Gunsten anwenden wird«.

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