Dämmerzustände im Kulturbetrieb

Shane Drinions Stück »Abwesen« ist ein gutes Argument für eine Zukunft der Berliner Spielstätte

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Als wollten sie eine Mahnung in die Welt schicken, öffnen die Performer der Truppe Shane Drinion zu Beginn ihres neuen Stücks »Abwesen« die Fenster des Theaterdiscounters. Die Blicke des Publikums bleiben automatisch an der im abendlichen Dämmerlicht versinkenden Fassade des Roten Rathauses hängen. Dort geht der auch für Kultur zuständige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit seinen Tätigkeiten nach. Den Weg auf die andere Seite der Grunerstraße in eines »seiner« Theater hat er freilich nie geschafft. Die achtspurige Schnellstraße scheint unbezwingbarer noch als die Mauer, die 28 Jahre lang die Stadt teilte.

Weil Wowereits Beamte im Kulturetat keinen Platz für jene 120 000 Euro fanden, die den Betrieb des Theaterdiscounters auf jetzigem Niveau ermöglichen, droht mit Auslaufen der Konzeptförderung Ende 2014 auch das Aus dieser Spielstätte. »Wenn wir kein Geld bekommen, machen wir den Laden dicht. Der Vermieter wird unsere Räume dann in fünf, sechs Studios aufteilen. Die Investitionen in die Infrastruktur des Theaters sind damit verloren«, zieht der Begründer des Theaterdiscounters, Georg Scharegg, gegenüber nd ein bitteres Fazit. Allein die Stiftung Deutsche Klassenlotterie hatte 2010 rund 116 000 Euro zur Verfügung gestellt.

Zwar keimt noch Hoffnung auf bei Scharegg angesichts des Beschlusses des Kulturausschusses, den Etat um 3,7 Millionen Euro für die freie Szene zu erhöhen. Teil des Pakets ist auch das Budget für den Theaterdiscounter. Aber womöglich handele es sich nur um »ein Beruhigungsmanöver, nach der Devise: Der Kulturausschuss war aktiv. Aber am Ende kommen doch nicht alle Forderungen durch«, bleibt Scharegg skeptisch. »Wir hängen jetzt total in der Luft«, beschreibt er die gegenwärtige Situation.

Ob die aufgerissenen Fenster mit der Rathausansicht da etwas ändern können, ist fraglich. Immerhin machen sie deutlich, dass zumindest geografisch der Theaterdiscounter das nächste Theater für den zuständigen Senator ist.

Gerade die Performance von Shane Drinion ist ein gutes Argument für eine Zukunft der Spielstätte. Denn die junge Truppe, die sich an der Akademie für Darstellende Künste Baden-Württemberg gründete, mit ihrer dritten Produktion am Theaterdiscounter aber zu einer Art Hausensemble heranwuchs, schlägt einen sehr eigenständigen Weg ein. Sie lotet Stimmungen aus und verlegt sich ins Eindringen von Zwischenräumen. Das hebt sie von der Vielzahl handlungs- und bedeutungsorientierter Performer ab, die sonst die Bühnen dieser Stadt bevölkern.

Nachdem die Fenster geschlossen sind, und die Außenwelt damit gewissermaßen verbannt, wird der Raum zwischen Leben und Tod ausgemessen, als ein Mann, der auf einer Bahre hereintransportiert wird, plötzlich zu sprechen anfängt. Verschiedene Verschattungszustände des Ichs werden sichtbar, wenn der 1,94 Meter große Leo van Kann sich zu einem halbnackten Männchen zusammenkrümmt und aus Randbemerkungen zu seiner Person ein furioses Ego-Solo formt. Echte Bescheidenheit verwandelt sich in falsche, die schwingt sich zur großtönenden Selbstdarstellung auf, um dann in Aggressivität umzuschlagen. Darauf folgt eine Auseinandersetzung alternativer Ichs, die wiederum mit einem Amok-Lauf einer sehr problematischen Heilung zugeführt wird. Es ist aber weniger das nachträgliche Interpretieren dieser Entdeckungsreisen in innere Zustände, als diese subtil angelegten Reisen selbst, wie bei »Abwesen« überzeugen.

Shane Drinion, die sich nach einer Figur des Kultliteraten David Foster Wallace benannt haben, entwickeln eine Form von Sprechtheater, in dem der Sprache wieder suchende und nicht nur beschreibende oder linear entäußernde Aufgaben zufallen. Der nüchterne Plattenbau zwischen Gruner- und Klosterstraße scheint plötzlich von spannenden Geistern bevölkert.

Und so hofft man denn, dass ihnen ein Fortwirken über die auslaufende Konzeptförderung hinaus ermöglicht wird. Scharegg nennt als Qualitätsmerkmal des Theaterdiscounters neben der Konzentration auf experimentelle Formen des Sprechtheaters das Erarbeiten innovativer Formate wie dem Monolog-Festival und der auch durch Stadtheater tourenden Reihe »Spielplan Deutschland«.

Das Stück »Abwesen« wird am 9. und 10.11., jeweils 17 Uhr, aufgeführt. Theaterdiscounter, Klosterstraße 44, 10179 Berlin; Tel.: (030) 28 09 30 62; Internet: www.theaterdiscounter.de

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