Das Ölembargo gegen Teheran leert auch die Brotkörbe
Der neue iranische Präsident Ruhani sieht sich vor größeren innenpolitischen Schwierigkeiten
Die Regierung des neuen Präsidenten Hassan Ruhani wird ihre prinzipielle Position im Streit um das Atomprogramm ebenso wenig verlassen wie ihre Vorgängerin. Allerdings geht der Präsident mit seinen Formulierungen etwas wählerischer um als früher. Die Arroganz in der Regierungsführung, wie sie Präsidentenvorgänger Mahmud Ahmadinedschad zu eigen war, gibt es nicht mehr.
Das hat vornehmlich mit anderen politischen Stilvorstellungen Ruhanis zu tun, ist aber auch unabdingbar, wenn es gelingen soll, die Westeuropa von den USA aufgenötigte Boykottfront aufzuweichen. Konnte Iran die seit etwa fünf Jahren schrittweise aufgebaute Embargopolitik lange Zeit überspielen, so hat sie seit 2011/12 durchaus schmerzhafte Auswirkungen. Wenn zum Beispiel Ölimporte zwar nicht verhindert, aber doch über gegen Iran verhängte Schikanen im internationalen Zahlungsverkehr erschwert werden, gilt dies ähnlich für den Import. Zwar sind humanitäre Versorgungsgüter wie Lebensmittel oder Medizinprodukte von den vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen ausgenommen. Praktisch wirken sie aber doch; zum Beispiel wenn der iranische Getreideimporteur keine Bank findet, über die er sein Geschäft mit dem kanadischen Getreidehändler abwickeln kann.
Zwar gibt es in Kanada genügend Geldhäuser, die Interesse an so einem Geschäft hätten, aber wohl keines, das nicht auch Geschäftsbeziehungen in die USA hat. Mit letzteren wäre es dann augenblicklich vorbei, was sich kein kanadisches Unternehmen leisten könnte.
Also müssen für den Handel auch völlig ziviler Güter komplizierte Umwege gegangen werden. Die Preise jedes so gehandelten Gutes steigen unweigerlich. Dies betrifft Hunderte Produkte des täglichen Bedarfs.
Von den Protagonisten des Embargos - Washington, London, Paris und inzwischen auch Berlin - wird selbstverständlich bestritten, dass dies beabsichtigt sei. Aber ebenso selbstverständlich ist genau das Kalkül: Möge die Bevölkerung immer unzufriedener werden und die Regierung in der Endkonsequenz zum Teufel jagen, weil das tägliche Leben unter ihr immer beschwerlicher wurde. Ob diese simple Rechnung jemals aufgeht, steht dahin. Doch geht dieses geopolitische Sandkastenspiel auf Kosten der Bevölkerung, vornehmlich des ärmeren, also ihres größeren Teils. Und eben gerade nicht, wie behauptet, auf Kosten der »Mullahs«, des schiitischen Klerus.
Die iranische Verhandlungsseite hat die von dieser Flanke drohende Gefahr längst erkannt. Auch deshalb wird erwartet, dass sie bei der jetzigen Verhandlungsrunde konkrete Angebote machen wird, dafür aber ebenso konkrete Gegenleistungen bei der Linderung des Embargos erwartet - und zwar sofort.
Präsident Ruhani ist seit seinem Amtsantritt im Sommer bemüht, den innenpolitischen Zündstoff in vielerlei Hinsicht zu reduzieren, auch durch etwas mehr Freizügigkeit und Abbau von vermeintlich durch den Islam gebotenen Restriktionen im täglichen Leben. Zwar unterstehen die geheimpolizeilich wirkenden Tugendwächter überhaupt seinem Amtsbereich, dennoch nutzte er den Schwung der haushoch gewonnenen Wahl, um beispielsweise politische Gefangene freizulassen.
Inzwischen schlägt das Pendel zurück. Die Revolutionsgarden machen darauf aufmerksam, dass sie nach wie vor als Staat im Staate zu agieren in der Lage sind und auf die Charme-Offensive ihres Präsidenten pfeifen. Die derzeitige Repressionswelle, verbunden mit einer gestiegenen Zahl an Hinrichtungen, verweist auf diesen nicht erklärten Machtkampf - und ebenso der dramatische Hungerstreik politischer Häftlinge im Teheraner Evin-Gefängnis.
Auch in Deutschland hat eine Politik des erhöhten Druck auf Ruhani starke Befürworter - angeblich um Zugeständnisse im Atomstreit zu erzwingen. Doch ist es gut möglich dass sie genau das Gegenteil dessen bewirken, was sie vermeintlich erreichen sollen: Man stärkt Religionsführer Ayatollah Chamenei und die Revolutionsgarden. Den politischen Gefangenen hilft man damit natürlich auch nicht. Eigentlich hatte die EU auf diese Weise schon den ebenfalls als Reformpräsidenten geltenden Mohammed Chatami (1998-2005) geschwächt. Dass daraus gelernt wurde, ist noch nicht absehbar.
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