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Führerlos am Obersalzberg

Im NS-Dokuzentrum bei Berchtesgaden muss man nun ohne fachliche Begleitung auskommen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach der Kündigung sämtlicher Ausstellungsführer im NS-Dokuzentrum am Obersalzberg wird es wohl noch Monate dauern, bis eine Lösung gefunden ist. Wie diese aussehen könnte, ist unklar.

Seit Monatsanfang ist das NS-Dokumentationszentrum am Obersalzberg bei Berchtesgaden ohne Ausstellungsführer. Den 22 Rundgangsleitern wurde vom Münchner Institut für Zeitgeschichte (IFZ), dem Träger des Zentrums, fristlos gekündigt beziehungsweise ihre Verträge nicht verlängert. Grund dafür ist ein Rechtsstreit mit der Rentenversicherung. »Wir haben eine rechtlich unklare Situation«, erklärte dazu eine Sprecherin des Instituts. Xaver Merk, Landessprecher der LINKEN in Bayern, hatte die Ende Oktober erfolgten Kündigungen kritisiert. Es sei »ein Skandal, dass die Fehler von Finanzministerium und IFZ auf Kosten der Beschäftigten vertuscht werden sollen«.

Mit 160 000 Besuchern pro Jahr hat sich das 1999 eröffnete Dokumentationszentrum im Südosten Bayerns mittlerweile zu einem Magneten für Touristen und Interessierte entwickelt, jüngst bewilligte der Freistaat 17 Millionen Euro für eine Erweiterung und Modernisierung der Ausstellung und des Ausstellungsgeländes. Freilich ohne Planstellen für die freiberuflichen Rundgangsleiter, denen jetzt die Kündigung überreicht wurde. Manche reagierten mit Wut, andere waren fassungslos. Hatte es doch schon seit längerem Versuche gegeben, die Verträge zu ändern, allerdings ohne Ergebnis.

In den bislang geltenden Verträgen hieß es, der freie Mitarbeiter habe den Status eines freien Unternehmers, der Auftraggeber sei so nicht verpflichtet, Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Das sieht die Rentenversicherung in einem Fall anders, das IFZ hat deshalb den Klageweg beschritten und die umstrittenen Verträge beendet. Obwohl es bei dem IFZ heisst, das Bildungsprogramm sei das »Herzstück« der Dokumentationsarbeit, entfallen nun viele Führungen.

»Der Skandal reicht aber weiter«, erklärte LINKEN-Landessprecher Merk. »Unter dieser Beschäftigungspolitik leiden nicht nur die Rundgangsleiterinnen und Rundgangsleiter, sondern auch das Dokumentationszentrum selbst und damit letztlich die Besucherinnen und Besucher.« Die Ausfinanzierung einer solch wichtigen Aufarbeitungsstelle müsse selbstverständlich sein: »Wir verlangen, dass die Kündigungen sofort zurückgenommen werden und die Weiterbeschäftigung zu rechtlich einwandfreien Bedingungen sichergestellt wird.«

Beim IFZ hofft man, bis zum Frühjahr eine Lösung gefunden zu haben. Mittlerweile wollen auch andere Museen wie die KZ-Gedenkstätte Dachau ihre Verträge mit Gästeführern überprüfen.

Der Obersalzberg selbst ist ein hochsensibles historisches Terrain: 1933 hatte Hitler hier mit den Geldern aus den Tantiemen für sein Buch »Mein Kampf« ein Anwesen, den »Berghof«, erworben. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Berg nach und nach zu einem repräsentativen Wohnsitz und zu einem Machtzentrum ausgebaut: Die Anwohner wurden durch Kauf oder Enteignung vertrieben, der »Berghof« wurde umgebaut und mit einem riesigen Panoramafenster versehen. Auch eine SS-Kaserne und Luftschutzbunker entstanden.

Auch NS-Größen wie Martin Bormann und Hermann Göring richteten sich Sommersitze ein, der Obersalzberg wurde zum Sperrgebiet erklärt. Das heute von Touristen gut besuchte Kehlsteinhaus hoch oben im Fels, von den Amerikanern »Adlerhorst« genannt, wurde Hitler von seiner Partei zu seinem 50. Geburtstag geschenkt. Am 25. April 1945 bombardierte die Royal Air Force die »Alpenfestung«, abziehende SS-Wachtruppen setzten die Ruinen in Brand. Nach dem Krieg wurden einige Gebäude auf dem Obersalzberg von den US-Truppen wieder hergestellt und als Erholungszentrum für ihre Soldaten genutzt.

1999 zogen die Amerikaner ab - nun trat die Landesbank Bayern auf den Plan. Denn das Gelände gehört dem Freistaat Bayern und der musste sich nun Gedanken machen, wie mit dem Erbe der Geschichte umzugehen sei. Verhindert werden sollte auf jeden Fall, dass der Obersalzberg zu einem Wallfahrtsort für Neonazis und andere Freunde rechter Gesinnung wird - die aufgebrachten Wandparolen in den zugänglichen Bunkerteilen zeigten bereits in diese Richtung.

Unter der Regierung Stoiber verständigte sich der Freistaat schließlich 1995 auf ein sogenanntes »Zwei-Säulen-Modell«. Damit wollte man einerseits der Geschichte des Ortes gerecht werden, andererseits dem Tourismus. Im Ergebnis entstand als eine Säule die Dokumentation Obersalzberg, eine Dauerausstellung des Instituts für Zeitgeschichte über den Obersalzberg unter nationalsozialistischer Diktatur. Die Dokumentation ist in einem Gebäude auf den Grundmauern des ehemaligen NS-Gästehauses untergebracht, 2005 kam ein Erweiterungsbau mit drei Seminarräumen hinzu. Ein Ziel der Ausstellung ist, dem alten und neuen Rechtsextremismus entgegenzuwirken.

Die andere Säule war der Bau des Hotelkomplexes »InterContinental Berchtesgaden Resort«. Eine heikle Angelegenheit, ging es doch, wie der damalige Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) sagte, nicht um »irgendeine Bergwirtschaft«. Das Hotel und das Dokumentationszentrum, so die Pläne, sollten als Einheit gedacht werden. So wurde von der bayerischen Staatsregierung ein internationaler Hotelkonzern für das Management bevorzugt, das Hotelpersonal wurde vom Institut für Zeitgeschichte geschult. Und die Kette verpflichtete sich, keinen NS-Tourismus zu dulden.

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