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Irrwitz unterm Hakenkreuz

Staatstheater Cottbus: »Sein oder Nichtsein« in der Regie von Mario Holetzeck

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Bühne wirft Licht auf Menschen in so freudigen wie schlimmen Lagen. Es sind Schauspieler aus Warschau. Theaterspiel ist ihr Leben und Leiden. Schon bald fallen Schatten. Polen wird überfallen und annektiert. Die Bühne schließt und die Gruppe landet im Abseits. Gefährdungen schockieren die Runde. Wie sich wehren? Zu Gebot steht vorerst, eine Kollegin zu retten, dann ist zu verhindern, dass die Warschauer Untergrundbewegung auffliegt, schließlich hat man sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wie das bewerkstelligen? Es geht nur als Spiel im Spiel. Mit Witz, schnellen Reaktionen, durch die Kraft des Ideals. Dies der Aufhänger jener wunderbaren Komödie von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch. »Sein oder Nichtsein«, welche Mario Holetzeck nun auf die Bühne gebracht hat. Vor Einfällen nur so sprudelndes Theater, das die Zentralnerven der Schauspielerei poetisch-sinnlich hervorkehrt.

Polen 1939 kurz vor Kriegsbeginn. Das Polski Theater probiert ein Antinazi-Stück. Transparente mit Hakenkreuz beleidigen den Sehnerv. Inmitten hochragend Hitler abziehbildartig in Öl mit mobilem Trauerflor unter der Nase. Ein Dachs (Adrian Rocksch) wird schlagend auf die Höhe des Völkischen und »Führer, wir folgen dir« gebracht. Drusch des Hirns. Die Weltkugel, Spielball à la Chaplin, rollt auf den Buben beängstigend zu. Geschenk des Führers. Während der Probe piesacken die Darsteller einander. Eifersüchteleien und Gefallsucht reichen sich die Hand. Die Crew streitet über die Weltlage. Regisseur Dowasz (Jochen Paletschek) weiß seine aus heiligstem Theatertiefsinn gespeisten cholerischen Anfälle kaum zu besänftigen. Polen schreien auf Deutsch »Heil Hitler!«.

Plötzlich heißt es amtlich, das Stück dürfe nicht kommen. Die Spannungen zwischen Deutschland und Polen verböten die Aufführung. Ein Ruck geht durch die Gruppe. Wozu taugt Theater sonst, als dem Aberwitz der Welt zu entgegnen, fragt Tura sinngemäß. Dowasz schmeißt den Überbringer der Nachricht rüde raus. Immergleiche, aus Saitenklängen gewonnene Elektronik schmiegt sich den Vorgängen an und erwidert ihnen (Musik: Hans Petith und Grzegorz Klemba). So Teil eins.

In Teil zwei wird es kompliziert. Die Gruppe - alles Bühne auf der Bühne - stellt um. Ein anderes Stück muss her. Narzisstisches blickt durch. Die schöne, langbeinige Maria Tura in sonnenhellem Ballkleid (Kristin Muthwill), allseits bewundert von Freund und Feind, Gattin des bedeutenden Josef Tura (Oliver Breite), will den »Macbeth«, weil sie einst darin zu glänzen wusste. Schauspieler Grünberg, Jude (Thomas Harms), empfiehlt den »Kaufmann von Venedig« und zitiert auf stille, gar anrührende Weise den Monolog des Shylok (zuletzt wiederholt von seinem Sohn). Herr Tura setzt, von der Emphase geküsst, den »Hamlet« durch und hebt aufs Lächerlichste mit »Sein oder Nichtsein« an, begleitet vom umwerfenden Tonfall seiner Wachen. Diese Sequenz, sie geht urkomisch durchs Stück, bringt die lebensgefährliche Lage der Gruppe auf den Punkt.

Romanzen dürfen nicht fehlen. Sie sind federleicht inszeniert. Da stiefelt jedes Mal ein junger Kerl namens Sobinski, polnischer Fliegeroffizier und Bewunderer der Maria vorn durch die Besucherreihe, um sich mit Maria, in der Garderobe zu techtelmechteln, während Herr Tura rezitiert. Derlei lustige Liebelei wiederholt sich und gerät in dem Moment zur Lachnummer, als Sobinski die Angebetete mit Blumen überschüttet und von ihr erst ablässt, als die Spannung siedet.

Teil drei lässt sämtliche Beschaulichkeiten über Bord gehen. »Es ist Krieg!« Austilgung auch des geistigen Lebens samt seiner Träger. Die Theater schließen. Im Konkurrenzhaus sitzt die Gestapo. Die Gruppe fällt ins Nichts. Sobinski wird unterdes Flieger des polnischen Widerstands. Maria, vorgeladen zur Gestapo, weil ihre Kontakte zu Sobinsky ruchbar geworden sind, muss gerettet werden. Sobinsky selber hängt mit seinem Fallschirm schon bald in den Seilen der Oberbühne. Was tun?

Die blutige Farce ist nun gefragt, der Witz selbst dort, wo es den Aufrechten zu den Folterern verschlägt. Turo gebiert die zentrale Idee wie ein wahrhafter Mime. Exzessiv, pathetisch, als wäre er Herr des Thrones. Die Crew müsse in ihren Naziklamotten den schwarzen Mördern zu Leibe rücken. Den polnischen Spion in Diensten der Gestapo, Professor Silewski (Gunnar Golkowski), beauftragt, die Namen der Warschauer Untergrundkämpfer zu verraten, enttarnt die Gruppe im falschen Theater, verfolgt und erschießt ihn. Ulk in Hochpotenz, denn keiner will schießen. Endlich wird er erlegt. Die Verwechslungsgeschichte, die darauf folgt, gehört zu den Glanzstücken der Aufführung. Die Leiche Silewskis, von der Gestapo um Folterer Erhardt (Rolf-Jürgen Gebert) und Blutsudler Fleischer (Michael Becker) inzwischen aufgefischt, wird dem falschen Silewski (Oliver Breite) vorgeführt, was dessen sicheren Tod bedeutet hätte, würde er dem toten Kopf nicht ein Bärtchen angeklebt haben, im gegebenen Moment abreißbar, zum Beweis seiner Unschuld. Da geht es kurios in die Gefilde des Letztendlichen, so komisch, dass einem vor Schrecken die Freudentränen kommen. Nicht zu vergessen das Akkordeon, das Grzegorz Klemba spielt. Sobald es anhebt, bringt es so viel Poesie, Anmut und Schönheit in die Vorgänge, dass die Aufrechten gar nicht anders können, als zu singen und sich im Tanze zu wiegen.

Der Schlussteil handelt vom »Sein oder Nichtsein« aller. Die Gruppe startet gleichsam einen Coup höherer Ordnung. Sie lässt unterm Schirm des polnischen Verräters Nummer eins ein ganzes Gestapo-Fest auffliegen. Maria Turo singt dort sentimental »Lili Marlen«, viel zu lange und nicht ironisch genug, der Sohn des Schauspielerjuden spricht den Monolog aus dem »Kaufmann« über die Juden, die doch nichts anderes seien als alle übrigen Menschen. Dann schlägt die falsche Ober-SS zu, verschafft sich über Tricks Flugkarten.

Das Exil gelingt. Bei den Briten angelangt, spielt die Crew ihren »Hamlet« so, wie sie ihn immer gespielt hat. Abermals die Kuriosa des Monologs. Wieder geht ein junger Militär mit Blumenstrauß durch die Reihe. Komik, die freundlich endet.

Nächste Vorstellung: 10.11.

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