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  • Politik
  • Neue Erkenntnisse über die Tagung in Ziegenhals 1933

»Sportlertreffen« bei Mörschel

  • Fred Bruder
  • Lesedauer: 4 Min.

Die am 30. Januar 1933 erfolgte Er nennung Hitlers zum Reichskanzler und die Beteiligung der Nazis an der Regierung stellten für alle demokratischen Parteien des parlamentarischen Systems der Weimarer Republik eine bis dahin nicht gekannte Herausforderung dar. Während einige jedoch auf eine Wendung mittels der »Kraft der Stimmzettel« setzten und andere offen oder verdeckt mit der NSDAP kollaborierten, suchten die Kommunisten den Weg zum Generalstreik und antworteten mit antifaschistischen Aktionen. Sie sollte deshalb auch als erste der sich nun entfaltende und staatlich gestützte NS-Terror treffen. Zur Auflösung des Preußischen Landtags sagte Wilhelm Pieck am 6. Februar voraus: »Die Reichsregierung beabsichtigt, nach Ablauf der Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge die KPD zu verbieten.«

Restriktive Anordnungen der neuen Staatsmacht gegen die Partei waren bereits seit dem 1. Februar mit dem in jedem Gemeinderatshaus eingegangenen Funk spruch Görings in Kraft. Dazu die »Ver Ordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deutschen Volkes«. Das Verbot aller Versammlungen der KPD »unter freiem Himmel« erschwerten der Partei erheblich, Widerstand zu entfalten. Am 3. Februar besetzten Polizeikommandos das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, Sitz der KPD-Zentrale, sowie auch andernorts Parteihäuser und Arbeiterlokale. Noch an diesem Tag zog sich das Politbüro zu einer Sitzung an einem bislang der Forschung unbekannten illegalen Ort zurück. Es fasste in Vorbereitung der Neuwahlen zum Reichstag den Beschluss zur »Durchführung einer Konferenz der Polsekretäre, ZK-Instrukteure und Abteilungsleiter«.

Diese ging irrtümlich als »illegale ZK Tagung« in die Geschichtsbücher der DDR ein. Die Hochrangigkeit einiger Teilnehmer der Zusammenkunft, die am 7 Februar in Ziegenhals nahe Berlin stattgefunden haben soll, nährte diesen Irrtum. Ihn Anfang der 90er Jahre richtig gestellt zu haben, war vor allem das Verdienst des Westberliner Historikers Henryk Skrzypczak. Bis heute konnten allerdings immer noch nicht alle Teilnehmer namentlich ermittelt werden; die Forschung geht von 43 aus, die zumeist über Instrukteure und Kuriere verständigt wor den waren. Lokale Geschichtsforschung fand in den 70er Jahren heraus, dass die zunächst als Ersatzkader bestimmten Sekretäre des KPD-Unterbezirks Prenzlau, Robert Schult und Georg Dreke, ebenfalls anwesend waren.

Zur Vorbereitung der Konferenz traten der technische Sekretär des Politbüros Herbert Wehner, später selbst Teilnehmer, mit dem ihm unterstehenden Teil des Parteiapparates sowie die Quartierbeschaffung »Iffland«, seit 1932 von Her mann Dünow geleitet, in Aktion. Als Tagungsort in die engere Wahl genommen wurden zunächst zwei Ausflugslokale unweit des Treptower Parks in Berlin, die jeder Verbundenheit zur KPD unverdächtig waren. Die nahe liegende Sternwarte eignete sich als unauffällige Anlaufstelle für die Teilnehmer. Doch dann traten die Besitzer beider Lokale - aus welchem Grund auch immer - von ihren bereits gemachten Zusagen zurück. Innerhalb kürzester Frist musste ein neuer Tagungsort gefunden werden.

»In dieser Situation erinnerten wir uns an ein Lokal, das >Sporthaus Ziegenhals< bei Zeuthen«, so der später auch für die Absicherung der Tagung verantwortliche Dünow. Ausschlaggebend dürfte gewesen sein, dass in dessen Nähe Otto Franke, ein erfahrener Genosse, wohnte. Er hatte zu den Besitzern des auch »Gasthof Mör schel« genannten Ausflugslokals enge persönliche Verbindungen. Dass Wilhelm Mörschel, wie nicht nur Dünow behauptete, »ein zuverlässiges Mitglied der KPD« gewesen sei, war ebenfalls ein sich lange haltender Irrtum. Ob Dünow und andere bereits damals wussten, dass Wilhelm Mörschel, Sohn eines ortsbekannten Sozialdemokraten, 1929 bei den Gemeindewahlen für die SPD kandidiert hatte, ist bis jetzt ungeklärt. Fakt ist, dass Mörschel nicht über den eigentlichen Zweck der Zusammenkunft informiert war, sondern ihm ein Sportlertreff angekündigt wurde.

Die über Zwischenanlaufstellen zur Sternwarte im Treptower Park gelangten Teilnehmer wurden am Nachmittag des Tages mit einem von Arthur Lange, Schlosser im Observatorium und Mitar beiter von Dünows »Iffland«-Apparat, or ganisierten Bus nach Ziegenhals gebracht. Den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann sowie Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht fuhr der technische Mitarbeiter Alfred Kattner per Auto nach Wernsdorf in der Nähe von Ziegenhals - nach den Regeln der Konspiration nicht bis vor den Tagungsort.

Das Gasthaus war wie auch der Ort von Genossen des Ordner-Dienstes der KPD gesichert, erinnerte sich Hans Pfeiffer, Instrukteur des Oberbezirks West. Ausgeschlossen wird heute, dass nach der Sitzung der Abtransport einiger Teilnehmer per Boot über den Großen Zug erfolgte, wie bislang angenommen. Denn das Wasserstraßenamt wagte damals nicht einmal den Eisaufbruch des zur Schifffahrt viel wichtigeren Oder Spree-Kanals.

Zur Diskussion standen auf der Tagung, wie vor allem der Ostberliner Historiker Ronald Sassning herausfand, auch Strategie und Kandidatur zu den Wahlen am 5. März. Der KPD sollte es dann trotz Terrors gelingen, 81 Reichstagsmandate zu erringen, die allerdings am 31. März per Ver Ordnung offiziell annuliert wurden.

An die Tagung und die frühe Zeit der Nazi-Diktatur erinnert eine 1953 im »Sporthaus Ziegenhals« eingerichtete Ernst-Thälmann-Gedenkstätte. Auf

Grund bereits zweijähriger Schließung des »Sporthauses« droht immer mehr ihr Verfall. Sie zu erhalten, inhaltlich zu stär ken, die Teilnehmerliste weiter zu ver vollständigen und Einseitigkeiten der Darstellung zu beseitigen, sind vordringliche Aufgaben an diesem Ort antifaschistischer Erinnerung und nicht zuletzt Ver pflichtung gegenüber jenen 19 die Befreiung nicht mehr erlebenden Teilnehmern.

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