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für Betriebsräte
Regierungskoalition will im Sommer Reform des entsprechenden Gesetzes angehen Von Andreas Fritsche
Von einem Terrainverlust bei den Mitbestimmungsrechten spricht Wolfram Wassermann vom Kasseler Verein für Sozialforschung, der das Gutachten zum Reformbedarf des Gesetzes über Betriebsräte für die Stiftung erstellte. Seien noch vor zehn Jahren die Hälfte der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft durch Betriebsräte vertreten gewesen, so treffe dies inzwischen nur noch für 40 Prozent von ihnen zu.
Grund dafür sind die klein- und mittelständischen Unternehmen. Die haben sich laut Wassermann schon immer und oft erfolgreich der Institution der Betriebsräte verweigert. Gerade diese Unternehmensformen jedoch seien durch die moderne Politik der Ausgliederungen bei großen Betrieben im Vormarsch. Außer dem nehme die Zahl von bei Betriebsratswahlen nicht wahlberechtigten Teilzeitbeschäftigten, Scheinselbstständigen und Leiharbeitern zu. In manchen Betrieben seien die Beschäftigten im Arbeitnehmerstatus schon in der Minderheit. Ein übriges tat laut Gutachten der Nieder gang von Stahlindustrie und Bergbau, wo die Mitbestimmung fest verankert war. Gleichzeitig stieg im Dienstleistungsgewerbe die Zahl der Beschäftigten, die der Betriebsräte jedoch sank.
Diesem Strukturwandel soll das BetrVG jetzt angepasst werden, um verlorene Positionen für die etwa 220 000 Betriebsräte in Deutschland zurückzugewinnen. Wassermann hält dafür unter anderem eine Vereinfachung der Betriebsratswahlen für erforderlich. Komplizierte Bestimmungen schrecken nach seiner Darstellung derzeit in kleinen Betrieben von der Bildung von Räten ab und behindern deren schnelle Reaktion auf Veränderungen der Unter nehmensstruktur. Es sei eine Faustregel unter Juristen, dass jede Betriebsratswahl anfechtbar sei, erklärt der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichtes Thomas Dieterich den gegenwärtigen Missstand. Weiterhin regt Wassermann neue Freistellungs- und Weiterbildungsregelungen an. Dazu gehört für ihn eine Senkung der Schwellenwerte, ab wann ein Betriebsrat für seine Tätigkeit freigestellt wird. Bisher sind für ein hauptamtliches Betriebsratsmitglied mindestens 300 Ar beitnehmer erforderlich. So möchte Wassermann die Räte für künftige Aufgaben wappnen, die sich noch mehr von der Sozialplanabfederung zur Beschäftigungssicherung verschieben werden.
Nur in 16 Prozent der Unternehmen, die mindestens fünf Beschäftigte haben und in denen damit ein Betriebsrat gewählt werden könnte, wird von diesem Recht Gebrauch gemacht. Diese Zahl ergibt sich aus einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt und Sozialforschung von 1998. Damit jedoch in Zukunft nicht mit hochgerechneten Befragungsergebnissen laboriert werden müsse, fordert Wasser mann eine Meldepflicht für Betriebe ohne Betriebsrat. Erst auf Grund einer solchen Statistik werde die Politik handlungsfähig. Begleitend zur Gesetzesänderung schwebt dem Sozialforscher eine Werbekampagne für Mitbestimmung in mittelständischen Unternehmen vor. Dabei solle die Erfahrung vermittelt werden, dass auch Arbeitgeber den Betriebsrat schon kurz nach der Einführung für eine gute Sache halten. Bei denen habe sich die Einsicht entwickelt, dass ein Konsens durch Streit besser sei als ein unausgetragener Konflikt.
Trotz des konstatierten Strukturwandels wird auch nach der durch die rotgrüne Koalition angestrebten Novelle des BetrVG das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Kernstück des Gesetzes bleiben, meint Adi Ostertag, sozialpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Mit der Reformarbeit solle im Sommer begonnen werden, damit das Gesetz schon Mitte des nächsten Jahres «stehe». Es solle auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode, also bis 2002 beschlossen werden. Vorher jedoch wolle die SPD Gewerk Schäften und Arbeitgeberverbände zu Anhörungen einladen. Das Ziel einer Novelle des BetrVG hatten SPD und Grüne 1998 in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Das seit 1952 existierende Gesetz wurde zuletzt 1972 einer gründlichen Überarbeitung unterzogen.
Auch die PDS tritt für die Novelle des BetrVG und dabei für mehr Mitbestimmung ein. Sie fürchtet allerdings, dass im Zuge dessen «der Flächentarifvertrag in einem Menüsystem aufgeweicht werden soll», aus dem die Betriebsräte auswählen müssen, wie Fraktionsmitarbeiter Harald Werner sagt. Die Räte aber seien viel mehr als die Gewerkschaften vom jeweiligen Unternehmen abhängig.
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