Fester als Hanf - glänzend wie Seide
Der neue Modetrend. Brennnesselkleider aus dem wendländischen Lüchow
Von Anja van Bocxlaer
Bei Brennnesseln an angenehme Kleidung zu denken, klingt abwegig. Heinrich und Karen Kranz aus dem wendländischen Lüchow aber wollen das wiederentdeckte Stoffgefühl auf der Haut wahr machen. Auf einer Fläche von 100 Hektar bauen sie Brennnesseln an, um in den nächsten beiden Jahren 100 000 Meter Brennnessel-Stoff zu produzieren. Die ersten Textilien aus der kurz »nettle« genannten Faser wird es 2001 auf dem Markt geben, versichern die Kaufleute der »Stoffkontor Kranz AG«.
»Die Idee mit den Brennnesseln stammt nicht von uns«, gesteht Heinrich Kranz. Schon seit Jahrhunderten haben die Menschen aus dem Stängel der Pflanze Stoffe hergestellt. »Es war das Leinen der armen Leute.« Der Stoff aus Brennnesseln ist ein ökologisch produzierter Naturstoff aus heimischen Faserpflanzen. Ziel des Stoffkontors ist es, weltweit zum ersten Mal einer Bastfaser die Baumwoll-Optik zu geben. Darum wird im eigenen For schungslabor eifrig an einem Verfahren gearbeitet. »Eine Revolution, die vielen Allergikern das Leben leichter machen kann«, sagt Heinrich Kranz.
Seit 1991 betreibt er mit seiner Frau in Lüchow einen Stoff-Einzelhandel, der inzwischen zur Aktiengesellschaft gewor den ist. »In die Nesseln« setzte sich das Ehepaar 1995 mit dem Beginn der Entwicklung der Faserpflanze Brennnessel. Seit Sommer 1999 sind die beiden Neuzüchtungen »Red King« und »Wendland« beim Bundessortenamt angemeldet. Beide Sorten weisen einen Faseranteil zwischen zwölf und 14 Prozent auf. Der Stängelertrag, aus dem die^Bastfasern für die Stoffe gewonnen werden, liegt damit bei etwa zehn Tonnen pro Hektar. »Solche Erträge machen den Brennnesselanbau wirtschaftlich«, erläutert Kranz. Die Brennnessel habe viele ökologische Vor teile gegenüber der Baumwolle: Sie sei eine heimische Pflanze mit unkomplizier tem Anbau und damit bester Abwehrkraft gegen Schädlinge. Außerdem kann die Pflanze im Gegensatz zu Hanfund Flachs bis zu 20 Jahre auf demselben Boden angebaut werden.
Auch die Europäische Union ließ sich von dem Brennnesselkonzept überzeugen. Der nachwachsende Rohstoff darf auf stillgelegten landwirtschaftlichen Flächen angebaut werden. Der Stoff kann reißfester als Hanf sein und die Leinenoptik von Flachs überbieten. Auch kann er feiner verwebt werden als Baumwolle, wie Seide glänzen und ähnlich der Schafwolle im angerauten Zustand wärmen. »Unser großes Ziel ist die Herstellung in Baumwoll-Optik«, sagt Heinrich Kranz. Im Labor wird die Nutzung so genannter enzvmatischer Verfahren untersucht, um die Fasern zu verkürzen und die Stoffe weicher zu machen. Sie sollen herkömmliche Vorgänge mit Natronlauge ersetzen und sind dabei zudem noch umweltfreundlicher, dpa
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