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  • Politik
  • Werner Eberlein über Verbannung, Narrenfreiheit und den Untergang des Sozialismus

Mein Leben war eine Achterbahn

  • Lesedauer: 13 Min.

? «Geboren am 9 November» ist Ihre demnächst erscheinende Autobiografie überschrieben - ein mit folgenreichen Er eignissen verknüpfter Tag in der deutschen Geschichte: 1918, 1923, 1938, 1989 Schließen Sie sich Zahlenmystikern, Polit-Astrologen an, die in diesen Tag eine für die Deutschen schicksalhafte Bedeutung hineinlegen?

Nein, diese Absicht habe ich nicht. Sicher, der Titel soll durchaus provokant wirken. Und wenn ich meinen Geburtstag in Assoziation zu einem der anderen 9 Novembertage stellen sollte, würde ich den des Jahres 1918 wählen.

? Weil in Deutschland eine Revolution begann, mit der sich Hoffnungen auf Sozialismus verbanden? Und Ihr Vater Hugo Eber lein von der Front desertierte, in Berlin die «Roten Fahne» herausgab, Mitbegründer der KPD und wenig später, 1919 im Jahr Ihrer Geburt, auch der Komintern war?

Auch meine Mutter Anna gehörte zu den KPD-Gründungsmitgliedern; sie ar beitete später in der Internationalen Ar beiterhilfe. Die politische Einstellung meiner Eltern hat mich geprägt. Ihre Ideale sind meine Ideale geworden.

? Ihre Erinnerungen waren eigentlich schon vor zehn Jahren druckreif. Warum haben Sie das Manuskript bis jetzt zurückgehalten?

Eigentlich stand mir gar nicht der Sinn nach Memoiren: Was habe ich Ungewöhnliches mitzuteilen? Doch wenn ich mit Freunden in der Sauna oder bei einem Glas Bier zusammensaß und ihnen Begebenheiten aus meinem Leben erzählte, sagten sie mir- «Schreib das doch mal auf.» Auch die Kinder und Enkelkinder bedrängten mich: «Wir wollen deine, unsere Vergangenheit näher kennen lernen.» So begann ich, meine Erinnerungen auf Band zu diktieren. Ich litt damals an einer inkompletten Querschnittslähmung. Mein Bruder Klaus Huhn half mir, daraus ein Buch zu machen. Doch dann habe ich einen Rückzieher gemacht. Mit Episoden konnte man 1990, als es darum ging, die Ursachen für den Kollaps eines Weltsystems, für den Niedergang des Sozialismus zu ergründen, nicht mehr kommen. Zudem gab es eine Reihe von Fragen, die ich mir selbst noch nicht beantworten konnte. Ich wollte mich erst einmal gründlich mit meinem Leben und der Geschichte einer Idee auseinandersetzen. Ich musste mich von einigen ver meintlichen Wahrheiten trennen, meine aber auch, dass bestimmte Vorgänge nur aus der Zeit heraus zu verstehen sind. Nun bin ich am Punkt angelangt, wo ich mir sage: Zeit, einen Punkt zu setzen.

? Verstehen, was geschehen ist - plädieren Sie für eine Historisierung des Kommunismus?

Nein. Zum einen bin ich der Überzeugung, dass sich der Kommunismus längst noch nicht erledigt hat, noch nicht in die Mottenkiste der Geschichte gehört. Zum anderen, wenn Sie Historisieren meinen im Sinne von geschichtlichem Entschulden dessen, was gewesen ist und allgemeinhin unter Kommunismus gefasst wird, dann sage ich: Dass Stalin ein Mör der war, ist Tatsache. Stalin ist nicht rein zu waschen. Das habe ich indes auch erst später erkannt. Meine Haltung zu ihm war 1934, als ich in die Sowjetunion kam, und auch noch 1937/38, als mein Vater und zwei meiner Onkel in Moskau verhaftet wurden, eine andere als 1948 oder 1956.

Die Schuld für den Terror in den 30er Jahren habe ich nicht bei Stalin gesucht. Wie so viele andere auch, glaubte ich an einen großen Irrtum: Vater, der sein Leben der Partei gewidmet hatte, den Lenin einen Freund nannte - er soll an einer antisowjetischen Verschwörung beteiligt gewesen sein? Sinowjew, Kamenew, Bucharin, Rykow, Radek und all die anderen, von denen in den «Prawda»-Berichten über die Schauprozesse die Rede war - alles Verräter, Spione, Terroristen? Ich machte Jeshow, Jagoda, Berija verantwortlich. In der Verbannung in Sibirien, in Mogotschino, kamen mir Zweifel, aber ich hatte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte.

%Ihr Vater und ihre beiden Onkel, Leo Flieg, ebenfalls Mitglied des ZK der KPD, und Gutek Rwal, Mitglied des ZK der KP Polens, vom NKWD ermordet, Sie in die Verbannung geschickt - dennoch sind Sie Kommunist geblieben, haben sich nicht wie etwa Wolfgang Leonhard, ihr Mitschüler an der Karl-Liebknecht-Schule in Moskau, oder Margarete Buber-Neumann vom Kommunismus abgewandt?

Ich habe Verständnis für Verbitterung, Wut und Hass, die diese ungeheuren Ver brechen hervorriefen. Ich kann mit Mar garete Buber-Neumann fühlen, die ich im Moskauer Hotel «Lux» kennen lernte: Ihr Mann, Heinz Neumann, in der Nähe von Moskau erschossen und verscharrt wie mein Vater, sie selbst an Hitlerdeutschland ausgeliefert, bis 1945 im KZ Ravensbrück. Ich verstehe Susanne Leonhard und all die anderen. Bei mir war es anders: Die Idee, an die ich glaubte, habe ich mir nicht nehmen lassen, das Vorbild, das mir Vater, Mutter, Onkel, Tanten gaben, konnten Stalins Büttel nicht beschädigen.

? In dem Jahr, in dem Sie nach Moskau kamen, fand der berühmt-berüchtigte «Parteitag der Sieger» statt. Was haben Sie von diesem wahrgenommen?

Zunächst: Ich war 14 und glücklich, nach Moskau reisen zu können. Mein Vater war in zweiter Ehe mit Inna Armand, einer Tochter von Inessa Armand, liiert. Nadeshda Krupskaja bewerkstelligte es, dass ich aus Hitlerdeutschland rauskam. Sie hat sich nach dem Tod von Inessa Ar mand 1920 um deren fünf Kinder und später auch deren Familien gekümmert.

Ich las natürlich Stalins Rechenschaftsbericht an den XVII. Parteitag, war beeindruckt von den gepriesenen Erfolgen der Industrie. Die Mängel, die der Alltag offenbarte, nahm ich hin in der Überzeugung, dass eines Tages der Sozialismus in der Sowjetunion ein Beispiel für die ganze Welt sein wird. Ich konnte nicht erahnen, welch bedrohlichen Gehalts Stalins Worte waren, dass der Kampf gegen Abweichler noch keineswegs beendet sei.

Chrustschow enthüllte 1956, dass von den 1966 Delegierten eben jenes XVII. Parteitages 1108, und von den 139 gewählten ZK-Mitgliedern 98 unter Stalin erschossen worden sind. Überlebende Delegierte haben später auch von Fälschungen der Wahlergebnisse berichtet: Kirow sei mit übergroßer Mehrheit gewählt worden, Stalin habe offiziell elf Gegenstimmen erhalten, es sollen an die 200 gewesen sein. Seine Rache war grausam. Im Dezember 1934 wurde Kirow ermor det, das war der Auftakt für die «Tschistka», die «Säuberungen»...

? Warum hat die Krupskaja Ihrem Vater nicht geholfen? Und was tat Pieck?

Aus Papieren meines Vaters weiß ich, dass versucht wurde, aus ihm Geständnisse herauszupressen, die auch Wilhelm Pieck belasten sollten. Auch er war also in Gefahr. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen. 1948 dann hat er sich persönlich an Stalin gewandt, um mich aus der Verbankönnte ich doch Erfahrungen einbringen. Doch ich hatte vorerst genug von Holz. Freunde schlugen mir vor, bei der SMAD zu arbeiten. Das wollte ich auch nicht.

? Auf Grund Ihrer schlimmen Erfahrungen mit dem Kommandanten in Mogotschino, Herr über die Verbannten?

Der wollte mich verrecken lassen. Aber all die anderen, die Verbannten und die «Freien», der Werkleiter und der Parteisekretär, haben mich gemocht, mir geholfen. Ich war schmächtig, die Arbeit hart. Dort in Mogotschino habe ich ein Stück der russischen Seele kennengelernt: dem Verfolgten, dem Notleidenden helfen, stille Wärme, Menschlichkeit.

? Sie sind dann 1948, wie Sie es wünschten, in den Parteiapparat gekommen. Sie wurden ein «Parteisoldat».

Ja,? Nun gut, einverstanden.

? Aber Sie sind nicht als Apparatschik, sondern als Chefdolmetscher bekannt, die «deutsche Stimme Chrustschows».

Dieser Begriff ist von den Medien kolportiert worden, und die Menschen haben ihn angenommen. Ich war auf den Fotos von Treffen immer gut zu sehen, über ragte mit meinen 1,93 Metern alle.

? Was war die kurioseste und was die peinlichste Begebenheit, die Sie als Dolmetscher erlebten?

Als Ulbricht in Gorki auf einer Kundgebung Maxim Gorkis «Sturmvogel» er wähnte, kam mir nur die Möwe, «Tschaika», in den Sinn; aber die gehörte Tschechow. Ich kam einfach nicht auf «Burewestnik» und musste unterbrechen.

Kurios? Da gab es mehrere Situation. Chrustschow war ein leidenschaftlicher Redner, kam an keinem Mikrophon vor bei, redete ohne Punkt und Komma, ohne Absätze. Ich musste synchron übersetzen, in Redegeschwindigkeit und Lautstärke mithalten. So brüllten wir manchmal im Duett. Auf einer gesamtdeutschen Arbeiterkonferenz in Leipzig-Markleeberg, an der auch westdeutsche Sozialdemokraten teilnahmen, hat er seine Zuhörer derart gefesselt, dass sie mitmarschiert wären, hätte er sie aufgefordert: Auf nach Bonn!

? Hätten Sie das übersetzt? Gab es Momente, wo Sie nicht O-Ton rüberbrachten, glätten mussten? Wie weit gehen die Vollmachten eines Dolmetscher?

Er hat keine, die muss er sich selbst nehmen. Und ich hatte mir eine gewisse Narrenfreiheit erkämpft. Manche wortgetreue Übersetzung wäre peinlich bzw. gar verheerend gewesen. Als wir einmal Chrustschow am Bahnhof Frankfurt/Oder abholten, begrüßte er uns auf Russisch mit «Nieder mit dem Kapitalismus! Es lebe der Sozialismus!» Das habe ich nicht übersetzt. Man sagt doch erst einmal: «Guten Tag, Genossen.»

Ein anderes Mal rief er coram publico, auf dem VI. SED-Parteitag, aus: «Ja, die Fritzen im Osten und im Westen...» Schimpfwort für die Deutschen im Krieg. Chrustschow wollte niemanden verletzen, es ist ihm in seiner Impulsivität rausgerutscht. Ich übersetzte: «Und der Fritz in Westdeutschland und der Hans in Ostdeutschland ...»Er meinte danach zu mir: «Das hast du gut gemacht, Wolodja.» Man darf nicht Sinn entstellen, aber korrigieren ist zuweilen nötig. Ein chinesischer Dolmetscher war sein Amt los, als er Mao getreu übersetzte: «Arsch».

? Sie waren auch bei Gesprächen mit Mao eingesetzt?

Die Treffen innerhalb des sozialistischen Staatenbundes verliefen immer über Russisch, das war so üblich - durch die dominierende Rolle der KPdSU. Anfangs, unter Stalin, waren gar keine Dolmetscher zugelassen, mussten alle russisch sprechen, ob sie konnten oder nicht. Dann waren Dolmetscher erlaubt, sie hatten zunächst jedoch noch nicht einmal einen Stuhl, später haben sie sogar Messer und Gabel bekommen.

%Zu Chrustschow hatten sie eine gute Beziehung. Wie war das mit Breshnew?

Nicht so gut. Ad eins, er war eitel. Kein Orden, den er nicht an seine Brust heften wollte. Er mochte auch keine Synchronübersetzung, weil er sich selbst reden hören wollte. Ad zwei, Nikita war offener und lockerer, Breshnew unehrlich, ver krampft. 1964 etwa, als Breshnew zum 15. Jahrestag der DDR in Berlin war, damals noch als Vorsitzender des Obersten Sowjets, verweigerte er sich einer Aussprache mit Walter Ulbricht, er wolle ins Bett, sei müde. Dabei war er nur feige. Er wusste, dass in Moskau eine Entscheidung bevorstand...

?... der Sturz von Chrustschow und Breshnews Inthronisation.

Er hätte ja nicht preisgeben brauchen, was in Moskau geplant war. Aber Ulbricht so zu brüskieren, war nicht nötig.

Ad drei bin ich der Meinung, dass Breschnew maßgeblich für den Untergang des Sozialismus verantwortlich ist. Die Sowjetunion hat die wissenschaftlichtechnische Revolution in den 70er Jahren verschlafen. Unter ihm kam es zur Stagnation, gediehen Korruption, Amtsmissbrauch. Er hat alle Reformversuche unterdrückt. Das NÖS in der DDR - um Gottes willen! Deutsch-deutsche Beziehungen - nein! «Wir haben das Sagen.» Das brachte Breshnew keine Sympathien ein.

? Sie wurden 1983 Bezirkssekretär in Magdeburg, 1986 Politbüro-Mitglied. Wie steht's mit Ihrer Verantwortung für das Scheitern des Sozialismus? Als Sie in Magdeburg antraten, waren Sie Sympathieträger.

Ich wollte dieses Amt nicht, wollte in Rente gehen. 19 Jahre in der Abteilung Parteiorgane, das reichte. Zumal: Politisch-ideologische Arbeit wurde immer mehr durch adminstrative Tätigkeit ver drängt. Als Rädchen im großen Getriebe sah ich keine Chance, daran etwas zu ändern ... Dann aber kam Erich Honecker auf mich zu: «Du wirst nach Magdeburg geschickt, um dort als erster Sekretär gewählt zu werden.»

? Und der «Parteisoldat» gehorchte. Nicht mit großer Begeisterung. Ich hatte

keine Ahnung von Landwirtschaft oder Schwermaschinenbau, den entscheidenden Wirtschaftszweigen im Bezirk. Und Magdeburg war ein guter Bezirk.

? Nach gängiger Praxis ist es kein Hindernis für Politiker, keine Ahnung zu haben von dem, was sie verwalten.

Das mag schon sein, ist aber nicht mein Credo. Mein zweites Problem war, dass den Magdeburgern wieder ein Berliner vor die Nase gesetzt wurde. Unbegründete Sorge. Ich wurde angenommen.

? Weil Sie anders als Ihr Vorgänger auftraten?

Ich dachte zuerst: Ich mach alles so weiter, wie er es getan hat. Da hat man mir gesagt: «Nein, bitte nicht, mach s anders!» Das musste ich erstmal verdauen. Was erwartet man von mir? Was verstand ich unter «anders»? Ich wollte jedenfalls nicht das Politbüro abkupfern, wo das Verhältnis zwischen Honecker und Stoph nicht gesund war. Ich wollte ein anderes Ver hältnis zu den Ratsvorsitzenden. Sie sollten eigene Verantwortung tragen und nicht nur umsetzen, was im Sekretariat der Bezirksleitung festgelegt worden ist.

? Im Herbst 1989 waren aber auch solche «Novitäten» nicht mehr gefragt.

Es wurde vieles falsch gemacht. Ich fand es unmöglich, wie das Neue Forum kriminalisiert wurde. Wir wollten die Konfrontation vermeiden, sind in Versammlungen gegangen, wollten Antwort auf die Fragen der Bürger geben. Es ist uns nicht gelungen. Berlin schwieg. Es gab keine Konzeption. Auf dem Domplatz in Magdeburg bin ich ausgepfiffen worden.

? Man war der SED-Gesichter über? Ja, das war ein Affrond gegen die SED

Wir hatten keinen Widerhall mehr in der Bevölkerung und unter vielen Genossen. Ich wollte die Übergabe an Neue, Jüngere aber in geordnete Bahnen lenken, bin darum nicht gleich zurückgetreten.

? Egon Krenz hat Sie dann noch zum Vor sitzenden der Zentralen Parteikontrollkommission vorgeschlagen. Ist das nicht unzumutbar für Sie gewesen, angesichts der unrühmlichen Rolle der ZPKK in den 50ern und Stalins «Parteisäuberungen»?

Bei der Wahl des neuen ZPKK Vositzenden hat der vom Politbüro bestimmte Kandidat nur 12 Stimmen gekriegt - erstmalige Situation. Ich saß neben Krenz und, wie der Zufall so will, sagte der- Dann schlag ich Eberlein vor. Und so wurde ich einstimmig gewählt. Ich bekam jeden Tag über hundert Briefe mit der Forderung, das ganze Politbüro aus der Partei zu schmeißen, zum Teil ohne Begründung: «Schmeiß den raus! Schmeiß jenen raus! Schmeiß raus!» - Was soll das?

? Sie haben aber «rausgeschmissen». Nach den Statuten. Ich habe gegen

Honecker und Mittag Parteiverfahren eingeleitet. Mittag ist arrogant aufgetreten. Bei Honecker konnte ich das Verfahren nicht durchführen. Als ich ihn informierte, hat er nur gesagt. «Ist gut.» Der Arzt meinte dann, er sei verhandlungsunfähig. Am nächsten Tag rief Honecker an und fragte mich, ob ich nicht bei ihm vorbeikommen könnte. Ich war bei ihm, er hat mir eine Erklärung vorgelesen. Er war nicht bereit zu diskutieren. So ließ ich die Sache erst einmal ruhen. Auf dem Außer ordentlichen Parteitag der SED/PDS habe ich - nach drei Wochen Tätigkeit - einen Bericht abgegeben. Damit war die Arbeit der ZPKK beendet, es wurde die Schiedskommission gebildet. Ich habe die Geschäfte an Günter Wieland übergeben. Er hat sich um die Rehabilitierungen von Opfern des Stalinismus verdient gemacht.

? Zu den ersten Rehabilitierten gehörte Ihr Vater. Vor zehn Jahren wussten Sie noch nichts Konkretes über sein Ende.

Das ist richtig. 1956 hatte meine Halbschwester Ines in Moskau eine auf den 12. Januar 1944 datierte Sterbeurkunde ausgehändigt bekommen. Die Berliner Historikerin Ruth Stoljarowa hat unlängst in Moskauer Archiven Dokumente einsehen können, die genauen Aufschluss ergaben, auch schlimmste Befürchtungen bestätigten, so über die brutalen Foltermethoden. Mein Vater bekannte sich bis zuletzt als unschuldig. Am 30. Juli 1941 fällte das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR (MKOG) das Todesurteil, das am 16. Oktober 1941 vollstreckt wurde. Seine Rehabilitierung durch ZPKK und MKOG 1956 hatte man mir übrigens nur mündlich mitgeteilt.

? Aus Furcht, schriftlich zu gestehen? Ich habe neulich mit Lotte Ulbricht darüber gesprochen. Mehrere Jahre habe ich die Familie in den Urlaub auf die Krim begleitet. Und selbst, wenn Walter und ich alleine waren, fiel nie der Name Hugo Eberlein. Ein Phänomen, das ich mir bis heute nicht erklären kann. Wir haben ver drängt, was in der Sowjetunion geschah - auch aus der Scham heraus, dass so etwas in unserer Sowjetunion passierte.

? Wenn Sie ein Resümee Ihres Lebens ziehen sollten, wie würde es ausfallen?

Ich habe in meiner Kindheit einen Glauben mitbekommen, dem ich treu geblieben bin, auch wenn die Idee verschiedenen Angriffen ausgesetzt war. Mein Leben war eine Achterbahn. Ich bin bereit, darüber zu diskutieren: Was verstehen wir unter Kommunismus? Aber ich bin davon überzeugt, dass eine Alternative auch heute nötig ist. Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung ist nicht in der Lage, die sozialen Probleme zu lösen.

Gespräch: Karlen Vesper

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