- Politik
- Hans Wallows »Glatzer« - die Kulisse wird zur Bühne
Realsatire um Politfarce
Vielleicht sollte Hans Wallow an seinem Theaterstück fleißig weiter ar beiten, liefert ihm doch die Wirk lichkeit ständig neuen Stoff für die dramatische Verarbeitung. Der 60-jährige Ministerialrat a.D hat 24 Jahre in ministeriellen Apparaten, vor allem im Bundespresseamt (BPA), zugebracht und war von 1989 bis 1998 Bundestagsabgeordneter der SPD Einiges von dem, was er dort er lebte, hat er sich «im Frust von der Seele geschrieben» - nicht als voluminöses analytisches Werk zum Parlaments- und Regierungswesen, sondern als Politfarce: «Glatzer oder der hektische Stillstand». Sein Protagonist Rudolf Glatzer ist der «kleine Gauner, der unter die großen Gauner fällt», der sich durchzulavieren ver sucht und schließlich doch eine kleine Karriere macht - um den Preis, «zum Autisten und Zombie» geworden zu sein.
Wallow schildert die «Verformung von Menschen durch den politischen Betrieb» (O-Ton Thomas Höft, Künstlerischer Leiter des Theaters in Brandenburg/Havel, das das Stück im Februar uraufführen will) in einprägsamen Szenen, lässt darin Figuren mit den anzüglichen Namen Andreas Laconte oder Udo Horbach («Pitbullterrier des Kanzlers») auftreten, spricht von «grünen Hosenscheißern» und «Schreibtischpistoleros». Doch nicht die Provokation mit Enthüllungsstories ist Wallows Anliegen; er will das System treffen, das sich hinter solcher Oberfläche verbirgt den Einsatz des Fraktionszwangs zur Disziplinierung, die heimliche Herrschaften der Lobbyisten und Verbände. Also den Mangel an demokratischer Gesinnung, der dazu führt, dass in der Regel nur jene nach oben kommen, «die abgeschliffen sind wie der Kieselstein im Bachbett».
Solch Kenntlichmachung durch theatralische Verfremdung geht den realen Politikern natürlich gegen den Strich - führt sie doch zu dicht an die Wahrheit heran. Zwar konnte das BPA dem Hobby- Dramatiker «kein Dienstrechtsvergehen» nachweisen; gleichwohl wurde der stellvertretende Leiter der Innenpolitischen Abteilung des Amtes auf eine Nebenstelle nach Bonn versetzt. Zum «Aktendeckel zählen» war sich Wallow aber zu schade; er lasse sich nicht «von pommerschen Landjunkern irgendwohin beordern». So quittierte er - nicht ganz freiwillig, aber gewiss zur großen Erleichterung seines Dienstherrn - den Dienst. Um nun subtilere Formen seiner Demontage zu erleben. Einmal wird er zum heimlichen PDS-Informanten erklärt, das andere Mal fünfspaltig in der «Süddeutschen Zeitung» als krank vorgeführt. In Kolumbien, wo Wallow seinerzeit als Experte des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit weilte, würde Anpassung durch Geld oder Blei erzwungen, sagte der Gemaßregelte dazu, hierzulande durch Rufmord.
Wallow will nun auch an der Gründung einer Bürgerinitiative zur Reform der parlamentarischen und staatlichen Ordnung mitwirken. Und schreibt bereits an einem neuen Stück - wieder kaum zur Freude der Regierenden, denn es soll «Der Cashmere-Faschismus» heißen.
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