- Politik
- Lessings Briefwechsel mit Eva König
»Und erhalten Sie mir Ihre Liebe«
Das erste Wort hat Lessing. Er gehe, den Kopf voller Fragen, nun schon den ganzen Abend in Gedanken mit ihr spazieren, schreibt er seiner »liebsten Madam« und will vor allem wissen, ob die Freundin noch im Sommer reisen werde. Man ist mitten im Juni 1770. Lessing, 41 Jahre alt, hat gerade seinen Dramatur genposten in Hamburg verlassen und ist nach Wolfenbüttel gezogen, wo er nun Hofbibliothekar ist. Eva König, um die er sich nach dem Tod ihres Mannes fürsorglich gekümmert hat, ein paar Jahre jünger als er, ist im Begriff, in Wien die Vermögensverhältnisse zu klären. Er hat Mühe, sich mit dieser Situation abzufinden. Alles um ihn sei weitläufig und öde, klagt er und schließt dieses erste Schreiben mit dem Hinweis, »dass der Mensch nicht bloß von geräuchertem Fleisch und Spargel, sondern, was mehr ist, von einem freundlichen Gespräche, mündlich oder schriftlich, lebet.«
Das Schicksal wollte es, dass sie ihre Unterhaltung meist schriftlich bestreiten mussten. Sie haben sich bis 1776, als sie endlich heiraten konnten, nur selten gesehen. Er saß in Wolfenbüttel und wurde immer verdrossener und müder, sie dagegen lebte in Hamburg oder versuchte in Wien (beim zweiten Aufenthalt ganze drei Jahre lang) die Seiden- und Tapetenfabriken zu verkaufen. Die Geschichte ihrer Beziehung steht deshalb, der Nachwelt zur Freude, in den Briefen, die sie sich schickten, Eva König häufiger als Lessing, er etwas säumiger und manchmal erst nach monatelangem Schweigen. Diese Korrespondenz, schon 1789 von Lessings Bruder Karl zum Druck befördert und zuletzt 1979 erschienen (aber längst ver griffen), liegt nun wieder vor, ediert von Wolfgang Albrecht und mit einem Essay versehen von Walter Jens.
Da sind, keine Frage, zwei Experten am Werk. Albrecht, von dem es bei Metzler eine biografische Lessing-Studie gibt, war schon mit von der Partie, als Aufbau 1981 seine zweite Werkausgabe startete, und er hat später, als diese Edition über den ersten Band nicht hinauskam und eine klägliche Ruine blieb, im Leipziger Reclam- Verlag einen dicken, glänzend dokumentierten und kommentierten Band mit den »Literaturbriefen« herausgegeben. Und Walter Jens, das weiß man ja: Er, voller Respekt und Bewunderung für den Mann aus Kamenz, zählt den streitbaren Geist seit Jahr und Tag zu seinen »Hausgästen«, die er sich immer wieder zum Gespräch versammelt. Er hat sich »in Sachen Lessing« oft genug geäußert, über den Redner, den Dramatiker, den Journalisten, und auch sein neuer Aufsatz, locker und temperamentvoll, ist eine appetitanregende Schrift, die den Schriftsteller, diesen blassen Gegenstand leidenschaftsloser Schulstunden, vom hartnäckigen Geruch quälender Langeweile befreit.
Hier, in diesem Buch, diesen Briefen, lebt Lessing noch. Von trockener, dünner Luft keine Spur. Hier darf er jammern und fluchen, hadern, Trost spenden und mit dem Verdruss kämpfen, charmant sein und egoistisch, niedergeschlagen und depressiv, und hier muss er auch nicht ver bergen, dass er, eine Spielernatur durch und durch, unentwegt vom großen Lotto- Lessings Frau Eva (nach einem Ölgemälde)
gewinn träumt. »Wollen wir in Hamburg«, schreibt er, »auf folgende fünf Nummern einsetzen: 19 36. 45. 47 69 « Oder ein andermal: »Sie wissen doch wohl, dass nun auch in Eutin ein Lotto errichtet wird?« Die Frage nach der nächsten Ziehung, sagt Walter Jens, hat ihn stärker beschäftigt als der Termin der nächsten Audienz beim regierenden Herrn. Wohl wahr- Vom Lotto kann er nicht lassen. Aus Braunschweig meldet er im August 1771 stolz, dass er am Vortag der ersten Ziehung beigewohnt habe: »Und wissen Sie schon, dass wir auf unser Billett, das Sie mir aus Wien Übermacht, eine Ambe gewonnen haben? Nämlich auf 69 und 47 Schade nur, dass ich sie so lumpich besetzt.«
Mehr Aufregungen hat sein Leben im Nest Wolfenbüttel auch nicht zu bieten. Er stecke, erklärt Lessing am 1. Mai 1772, »in Arbeit bis über die Ohren, und quäle und püffle mich den ganzen Tag«. Er ist dabei, die hunderttausend Bücher der Bibliothek »in eine völlig andre Ordnung« zu bringen und will die Arbeit noch im Sommer schaffen. Die Mühsal nimmt kein Ende, und die Klagen, die er in seine Briefe schreibt, reißen nicht ab, Er fühlt sich elend und krank. »Sie«, erklärt er der Freundin im Sommer 1772, »haben doch weiter nichts als Sorgen, deren Ende Sie absehen können, auf eine oder die andere Weise. Mir aber ist itzt nicht selten das ganze Leben so ekel - so ekel! Ich ver träume meine Tage mehr, als dass ich sie verlebe. Eine anhaltende Arbeit, die mich abmattet, ohne mich zu vergnügen; ein Aufenthalt, der mir durch den gänzlichen Mangel alles Umganges ... unerträglich wird; eine Aussicht auf das ewige, liebe Einerlei- das alles sind Dinge, die einen so nachhaltigen Einfluss auf meine Seele, und von der auf meinen Körper haben, dass ich nicht weiß, ob ich krank oder gesund bin.«
»Wie kommt es«, hat Eva König schon vorher gefragt, »dass Sie seit einiger Zeit beständig was zu klagen haben?« Sie schiebt s aufs anhaltende Sitzen in Wolfenbüttel und hat wahrscheinlich, zum Teil wenigstens, nicht ganz unrecht damit. Sie versucht, ihn aufzumuntern und dazu zu bringen, seiner Hypochondrie Einhalt zu gebieten, »ehe sie zu tiefe Wurzeln fasst«. Er solle, rät sie, doch lieber die Bibliothek verlassen (»Ein Anderer kann die Bücher in Ordnung bringen, der sie in Ordnung haben will«) und nach Braunschweig gehen. Sie erzählt von ihren abenteuerlichen Reisen, vom »besoffenen Postillon«, der sie in die Irre kutschierte, von Bayern, wo es »nun nichts als Jammer und Not« gibt, und von ihren - meist schrecklichen - Theatererlebnissen. Und wenn s gar zu deprimierend ist, was Lessing ihr schreibt, holt sie auch schon mal zu einer ordentlichen Predigt aus.
Eva König ist nicht bloß ein blasser Schatten gewesen, das sprachlose Weib neben dem wortmächtigen Gelehrten. Sie hat ihn, ein Fels in der Brandung, immer wieder hochgerissen, wenn er am Boden lag, hingebungsvoll und ohne zu lamentieren. Dabei sind sie in der ganzen Zeit über das Sie nie hinausgekommen. Liebesbriefe sehen gewöhnlich anders aus, aber man täusche sich nicht: Auch wenn Lessing mitunter lange verstummt, im ganzen Jahr 1774 sogar nur ein einziges Mal seiner Freundin ein Lebenszeichen schickt, ist die tiefe Vertrautheit, die zwischen beiden herrscht, die leise, unterirdische Zärtlichkeit nicht zu überhören. Was ihm Eva König bedeutete, hat er nicht ver schwiegen. »Leben Sie recht wohl, meine Beste«, schloss er im Januar 1776, »und erhalten Sie mir Ihre Liebe, die wirklich das größte Gut, meine Glückseligkeit allein ausmachen kann.« Freilich: Lange hat die Glückseligkeit nicht gedauert. Sie waren gerade mal 15 Monate verheiratet, als erst der eben geborene Sohn, und kurz darauf, am 10. Januar 1778, auch die Mutter starb. »Ich wollte es auch einmal so gut haben, wie andere Menschen«, schrieb er dem Freund Eschenburg. »Aber es ist mir schlecht bekommen.« Und: »Meine Frau ist todt; und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht. Ich freue mich, dass mir viel dergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig seyn können zu machen; und ich bin ganz leicht.«
Wer wissen will, wer Lessing war und wie es um ihn stand, kommt um dieses Buch nicht herum. Es ist der denkbar kür zeste, zumindest kurzweiligste Weg zu diesem Mann, und man darf dem Verlag dankbar sein, dass er den von Wolfgang Albrecht hilfreich kommentierten - Briefwechsel wieder zugänglich machte. Alle weiteren Fragen zu Lessing beantwortet jetzt Monika Fick in einem lange vermissten, anspruchsvollen Handbuch zu Leben, Werk und Wirkung, einem Kompendium, das mit einer Fülle von Informationen aufwartet, mit neuen Werkinterpretationen und auch, gleich im zweiten Kapitel, mit einer kompakten Darstellung der Lessing-Bilder seit dem Tod des Schriftstellers vor 220 Jahren.
Gotthold Ephraim Lessing / Eva König: Briefe aus der Brautzeit 1770-1776. Hg. von Wolfgang Albrecht und mit einem einleitenden Essay von Walter Jens. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger. XVII, 462 Seiten, gebunden, 58 DM. Monika Fick: Lessing-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Verlag J. B, Metzler. 517 Seiten, gebunden, 78 DM.
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