Unbequeme Erinnerungen
Buch beleuchtet schwierigen Umgang mit Gedenkorten in Sachsen-Anhalts Provinz
In der Gedenkstätte Marienborn wurden Jugendliche beim Fußballspielen erwischt. Ausdruck der Ignoranz von Pubertierenden? Nein, meint Sascha Möbius, Leiter der Einrichtung an einem einst wichtigen Transitkontrollpunkt zwischen DDR und BRD. Während bei früheren Reisenden dort Erinnerungen an das Grenzregime und seine Schikanen wach werden, können junge Menschen mit der Anlage wenig anfangen, deren Gebäude sie an eine Tankstelle denken lassen und im Unterschied zu einem Gefängnis kaum Assoziationen wecken. Marienborn sei, sagt ihr Chef, eine »schwer zu definierende Gedenkstätte«.
Von derlei Widrigkeiten des Erinnerns berichtet Möbius in einem jetzt erschienenen Buch, das »Schwierige Orte« in Sachsen-Anhalt beleuchtet: Orte, die durch Lager und Gefängnisse historisch belastet sind und deren Anwohner sich dieser Geschichte nur mehr oder weniger willig stellen.
Das Buch schließt ein zweijähriges Projekt für Regionalhistoriker ab, das durch die Forschungsstelle Moderne Regionalgeschichte der Magdeburger Universität betreut wurde. Unter anderem wurde gefragt, wie unbequeme Orte in die lokale Erinnerung integriert werden und wie sich das mit einem Heimatgefühl verträgt, das gern ungetrübt ist. Das Buch, im Mitteldeutschen Verlag erschienen und bei der Landeszentrale für politische Bildung auch kostenlos erhältlich, sei ein »Appell, dass die Provinz diese schwierigen Orte annimmt«, sagt Herausgeber Justus H. Ulbricht.
Die Schwierigkeiten, die das Erinnern birgt, sind dabei unterschiedlicher Natur. Im Fall des Stalag XI A in Altengrabow fehlt es schlicht an baulichen Überresten. Das 50 Kilometer südöstlich von Magdeburg gelegene Internierungslager für Zehntausende Kriegsgefangene, von dem aus sie zu 1600 Arbeitskommandos in Firmen und auf Höfen ausrückten, geriet deshalb nahezu in Vergessenheit - und damit auch ein System, bei dem viele Unternehmer, Landwirte und Handwerker direkt vom Repressionsapparat der Nazis profitierten. Ihre Nachfahren wollen daran vermutlich ohnehin eher ungern erinnert werden.
Andernorts liegt die Schwierigkeit darin, dass sich Gedenkkulturen verschiedener politischer Systeme überlagern. In Langenstein-Zwieberge etwa gibt es seit 64 Jahren eine Gedenkstätte für ein KZ-Außenlager. In der DDR glich diese jedoch einem Appellplatz; regelmäßig gab es große, politisch motivierte Aufmärsche. Die Gräber der Opfer wurden indes überbaut, von den Stollen in den Thekenbergen, wo Häftlinge bei der Rüstungsproduktion litten und starben, hieß es gar, sie seien verschwunden. Inzwischen erfolgte eine Neugestaltung. Jetzt, sagt Gedenkstättenleiterin Ute Hoffmann, kommen nur noch die Besucher, »die es selbst wollen«.
Wie allerdings schafft man es, Besucher überhaupt auf derlei Erinnerungsorte aufmerksam zu machen? Vor dieser Frage steht Melanie Engler, die neue Chefin der Gedenkstätte im einstigen KZ Lichtenburg. Um diese wurde jahrelang gerungen, bis sich das Land zur Trägerschaft bekannte. Seit Dezember 2011 gibt es die Gedenkstätte - die aber im Niemandsland zwischen Wittenberg und Torgau liegt und noch weitgehend unbekannt ist. Zudem erinnert das Renaissanceschloss äußerlich nicht an einen Ort, an dem gequält und gelitten wurde - weshalb selbst Schulen aus der Nachbarschaft lieber zur Exkursion nach Buchenwald fahren.
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