Alles nur Taktik! Die große Zäsur!
Die SPD will künftig keine Koalition mit der Linkspartei ausschließen. Was schreiben die Zeitungen dazu?
Die SPD-Spitze hat kurz vor dem Leipziger Parteitag der Sozialdemokraten eine kleine Wende in ihrer Politik gegenüber der Linken angekündigt. Künftig wolle man keine Bündisse mit der Partei mehr vor Wahlen ausschließen - zugleich aber werden bedingungen für eine Zusammenarbeit genannt und der alte Kurs bestätigt, die Linkspartei im Westen aus den Parlamenten drängen zu wollen. Istb das nun die große Zäsur im Verhältnis von SPD und Linkspartei? Oder nur Taktik, um in den Koalitionsverhandlungen Druck auf die Union auszuüben (Stichwort: neue Machtoption) und die SPD-Basis vor dem Parteitag milde zu stimmen, die einer Großen Koalition skeptisch gegenübersteht - und gegenüber der die sozaildemorkatische Führung bisher kaum etwas wirklich Zählbares vorzuweisen hat? Ein Blick in die Zeitungen und wie diese den angeblichen SPD-Kursschwenk beurteilen.
SPD bleibt auf Kurs
Die Tageszeitung
Dies ist das erste Mal, dass die SPD offiziell Bedingungen für eine eventuell mögliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei definiert. Stefan Liebich, Vertreter des Reformflügels der Linkspartei, findet es »erfreulich, dass bei der SPD dieses Tabu endlich fällt«. Die Kriterien seien ja offen formuliert: dass auch Rot-Grün-Rot sich an internationale Verträge halte, sei selbstverständlich. Und, so Liebich zur taz: »Da ist kein K.-o.-Kriterium definiert.« Anderes allerdings bleibt bei der SPD, wie es war. So will die SPD im Westen nach wie vor die Linkspartei aus den Parlamenten drängen. Und im Osten gibt es Rot-Rot nur unter SPD-Führung. Auch sprachlich tut sich die SPD-Spitze mit der neuen Perspektive noch etwas schwer: Das Wort »Linkspartei« kommt in dem Leitantrag kein einziges Mal vor. (mehr hier)
Blick auf Defizite der Linkspartei frei
Tagesspiegel
23 Jahre nach der Wiedervereinigung hat sich die SPD-Führung nun aufgemacht, aus dem Schatten eines Tabus zu treten: Bei der Bundestagswahl 2017 wird sie keine Koalition mehr grundsätzlich ausschließen. Die Erkenntnis, dass die als Ziel lange hoch gehaltene rot-grüne Koalition auf Jahre hinaus von einer eigenen Mehrheit entfernt ist, bereitete den Boden für den Schritt. Doch keineswegs räumt die SPD nun alle Hürden beiseite: Nur wenn die Linkspartei sich als stabiler Partner präsentiert, die gemeinsamen Ziele finanzieren kann und in der Außen- und Europapolitik Verantwortung übernimmt, kommt sie als Partner infrage. Inhaltlich hat die SPD nichts zurückgenommen, doch im Umgang mit der linken Konkurrenz ist sie nun flexibler geworden. Da das grundsätzliche Tabu weggeräumt ist, wird der Blick auf die Defizite der Linkspartei noch klarer: Keines der Kriterien erfüllt sie. Reformiert sie sich nicht, bleibt sie weiter außen vor. Davon können auch noch viele weitere Angebote an die SPD, im Bundestag gemeinsam gegen die Union zu stimmen, nicht ablenken. (mehr hier)
Keine Liebesheirat
Neue Osnabrücker Zeitung
Die Sozialdemokraten brauchen eine neue Machtoption, nachdem die alte keine realistischen Mehrheitsaussichten mehr zu haben scheint. Auch geht es ihr darum, Druck auf die Union auszuüben. Eine Liebesheirat wäre eine rot-rote Koalition daher auch künftig nicht. Natürlich gibt es Positionen innerhalb der Linken, die eine Zusammenarbeit schwierig gestalten. Die Partei wird aus ihrer bequemen Oppositionsrolle herauswachsen und Extremforderungen und Anti-Haltungen aufweichen müssen, um zu zeigen, dass sie Verantwortung zu tragen bereit ist. (mehr hier)
Vor allem ein taktischer Schritt
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Mit der plötzlichen Öffnung der SPD in Richtung Linkspartei zielt Parteichef Sigmar Gabriel auf einen doppelten Effekt. Kurzfristig geht es darum, den SPD-Linken sowie großen Teilen der Basis, die schon diesmal lieber mit der Linkspartei verhandelt hätten, die Zustimmung zu der ungeliebten Koalition mit der Merkel-CDU zu erleichtern. Motto: 2017 werden die Karten neu gemischt. Tatsächlich eröffnet Gabriel langfristig der SPD eine neue Machtperspektive: Rot-Rot-Grün. Wie realistisch diese Option allerdings in vier Jahren sein wird, ist nicht ausgemacht. Zwar dürfte die Reizfigur Oskar Lafontaine dann in der Linkspartei keine große Rolle mehr spielen; ob die Linke es aber bis dahin schafft, sich von manchen unrealistischen bis absurden Positionen in der Sozial-, Verteidigungs- oder Europapolitik zu trennen, muss sich erst zeigen. Die Öffnung nach links ist für die SPD vor allem ein taktischer Schritt. (mehr hier)
Preisgabe linker Positionen
Junge Welt
Selbst wenn die SPD ihren Kurs auf Ausgrenzung der Linkspartei zu korrigieren gedenkt, kann von dessen Wechsel nicht die Rede sein. Der Kurs von Gabriel, Steinmeier und Genossen wird auch weiterhin entschieden gegen links gerichtet sein. Und deshalb wird nur eine Linke, die zur schrittweisen Preisgabe linker Positionen bereit ist, von der SPD-Führung als möglicher Koalitionspartner in Betracht gezogen werden. Im Willy-Brandt-Haus weiß man nur zu genau, dass in der Linken genügend Anwärter für »pragmatisches« Regieren vorhanden sind, deren Anschlussbereitschaft an das neoliberale Parteienkartell als sicher vorausgesetzt werden kann. Doch noch gelten in der Linkspartei die vom früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine gezogenen »roten Haltelinien«, deren regierungsamtliche Berücksichtigung einen wirklichen Politikwechsel erfordern würde. Die Rolle als soziales Gewissen einer SPD-geführten Koalition würde man Der Linken vielleicht sogar zugestehen. Doch nur, wenn sie bereit wäre, ihrer negativen Haltung gegenüber imperialistischen Weltordnungskriegen abzuschwören und den deutschen Führungsanspruch in Europa mitzutragen. (mehr hier)
Druck auf Union und »Links-Ideologen«
Weser-Kurier
Nun also doch. Was die SPD-Oberen vor der Bundestagswahl noch zum Tabu erklärt haben, soll künftig durchaus möglich sein: ein Bündnis der Sozialdemokraten mit den Linken. Dass der SPD-Vorstand mit diesem Vorschlag zwei Tage vor Beginn des Bundesparteitags in Leipzig herausrückt, ist kein Zufall. (...) Mit seiner angekündigten Öffnung für Gespräche mit der Linkspartei stimmt Gabriel seine eigenen Parteilinken zufrieden - und kann in Leipzig mit der Unterstützung beider Flügel rechnen. Und ganz nebenbei: Selbst bei den laufenden Verhandlungen mit der Union stärkt der Hinweis auf die Links-Option die Rolle der SPD. Das Signal an die Konservativen ist klar: Seid ihr nicht willig, können wir auch mit anderen regieren. Nicht zuletzt hat Gabriel aber auch Rot-Rot-Befürworter wie Gregor Gysi unter Druck gesetzt: Jener muss nun zusehen, wie er die im Westen Deutschlands starken Links-Ideologen mit ihrer Festlegung auf Fundamental-Opposition auf Regierungskurs bringt. (mehr hier)
Linke muss sich bewegen
Lausitzer Rundschau
Unter Druck gerät durch den Beschluss vor allem aber die Linke. Sie muss nun raus aus der oppositionellen Kuschelecke. Die Haltung zu den (erfolgreichen) Agenda-Reformen, die Einstellung gegenüber Wirtschaft und Unternehmertum, der Blick auf Deutschlands Verantwortung in der Welt - überall wird sich die Linke bewegen müssen. Nicht zur Prinzipienlosigkeit, aber zur Realpolitik. Sonst sind Stimmen für sie in den Augen ihrer Wähler bald verlorene Stimmen. Womöglich wird das die ohnehin stark in einen Ost- und einen West-Flügel auseinanderdriftende Patei endgültig spalten. Und die SPD? Auch sie gerät mit dem Beschluss unter Druck. Nämlich, sich selbst nicht noch weiter nach links zu entwickeln. Sonst wäre das Ganze ein Nullsummenspiel. Die SPD muss eine soziale Volkspartei bleiben, eine verantwortliche Volkspartei. Erst recht, wenn sie ein linkes Bündnis will. (mehr hier)
Linkspartei im Bund nicht regierungsfähig
Neue Westfälische
Die programmatische Wende führt hoffentlich nicht dazu, dass sich die Genossen Illusionen machen über die Linken. Die sind nämlich im Bund nach wie vor nicht regierungsfähig. Nicht nur, weil mit ihnen keine verantwortliche Außen- oder Europapolitik zu machen ist. Und nicht nur, weil die stellvertretende Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht bis heute eine unklare Haltung gegenüber dem Stalinismus pflegt. Die Linke besteht im Grunde aus zwei Parteien. Der vor allem im Westen beheimatete linksradikale Flügel verweigert sich bis heute der Realität. (...) Mit den ostdeutschen Reformern wäre eine Regierung vielleicht hinzubekommen, mit den anderen wohl nicht. Solange die Verhältnisse so sind, bleibt der SPD eigentlich nur ein Weg zur Kanzlerschaft: als Volkspartei wieder so attraktiv und auf allen Gebieten so kompetent zu werden, dass sie eines Tages die Union überflügelt. Schon vergessen? 1998 ist das gelungen. (mehr hier)
zusammengestellt von tos
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