»Da ist noch dran zu arbeiten«
Auch die fünfte große Koalitionsrunde aus CDU, CSU und SPD kann die großen Streitfragen nicht lösen
Da standen die drei Parteichefs verloren vor der CDU-Parteizentrale in Berlin, wackelten mit ihren großen Köpfen aus Pappmaché und mussten sich von der Kampagnenorganisation Campact die Leviten lesen lassen. Die Aktivisten waren vors Konrad-Adenauer-Haus gekommen, um die mehr als 161 000 Unterschriften von Befürwortern bundesweiter Volksentscheide zu überreichen. »Eigentlich wollten wir die Unterschriftenlisten an Vertreter der CDU überreichen, doch da niemand für uns zu sprechen war, haben drei Schauspieler den Job übernommen«, erklärte Regine Laroche vom Verein Mehr Demokratie, der die Aktion mitorganisiert hatte. Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn am Dienstag hatte ein gemeinsames Papier von CSU und SPD bei der CDU für Verstimmung gesorgt. Darin sprachen sich die beiden potenziellen Koalitionspartner für Volksentscheide auf Bundesebene aus. Die CDU lehnt dies strikt ab. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel bekräftigte am Mittwoch noch einmal die Position der Sozialdemokraten, deutschlandweite Referenden möglich zu machen.
Nicht das einzige Indiz dafür, dass die SPD ihren Konfrontationskurs verschärft. So musste am Dienstag die Sitzung der Arbeitsgruppe Verkehr abgebrochen werden, weil es zum Streit über das Thema Lkw-Maut gekommen war. Die SPD will die Abgabe für Brummis ausweiten, die CSU ist strikt dagegen.
Das waren keine optimalen Voraussetzungen für die mittlerweile fünfte große Koalitionsrunde, die am Mittwoch im Konrad-Adenauer-Haus zusammenkam. Und weil bei den wichtigen Streitthemen wie der doppelte Staatsbürgerschaft keine Einigung in Sicht ist, feierte man die eher nebensächlichen Kompromisse als »Durchbruch« und »Meilenstein«. Etwa die gemeinsame Position, Korruption im Gesundheitswesen härter zu bestrafen. Demnach soll ein neuer Straftatbestand im Strafgesetzbuch verankert werden. So wichtig der Kampf gegen Bestechung auch ist: Die zuständige Arbeitsgruppe »Gesundheit und Pflege« kommt bei den eigentlichen Knackpunkten nicht voran. Im Gegenteil: Von einer Einigung über die Zukunft der Pflege- und Krankenversicherung ist man noch weit entfernt.
Ein ähnliches Bild bot sich gestern beim Thema Europa. Hier vermeldeten die Agenturen, dass sich Union und SPD auf »Grundzüge der Europapolitik« verständigt hätten. Diese Grundzüge entpuppten sich bei genauerem Hinsehen als unverbindliche Floskeln. Da soll die gesamteuropäische Haushaltskonsolidierung mit Investitionen in Beschäftigung und Wachstum verbunden werden. Also Merkelsche Austeritätspolitik kombiniert mit sozialdemokratischem Wohlfühl-Keynesianismus. Die eigentlichen Streitpunkte der Arbeitsgruppe - wie die Regeln zur Abwicklung maroder Geldinstitute oder die europäische Bankenunion - sind weiterhin ungelöst.
Dafür verständigte man sich darauf, die Sicherheitsbehörden besser für den Kampf gegen Neonazis zu rüsten. Dazu will man die Vorschläge des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Umbau der zuständigen Stellen von Bund und Ländern umsetzen, wie SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles stolz verkündete.
Allerdings stehen sämtliche Vereinbarungen unter Finanzierungsvorbehalt. Kanzlerin Merkel bekräftigte am Mittwoch noch einmal ihre Position: »Wir müssen mit dem auskommen, was reinkommt.« Ihre Worte galten auch der SPD-Forderung nach höheren Bildungsausgaben. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sekundierte: Union und SPD seien »weit weg von einer gemeinsamen Einschätzung, was vom Bund zu leisten ist und was nicht«. Die Bildung sei eine »föderale Angelegenheit«, die in die Zuständigkeit der Länder gehöre. Die SPD will eine Lockerung des Kooperationsverbots für Bund und Länder in der Bildung, die Regionalpartei CSU will sich ihre Macht über Schulen und Lehrpläne nicht nehmen lassen.
Dass es bei den ebenfalls am Mittwoch geführten Gesprächen zu bundesweiten Volksabstimmungen keine Einigung gab, kann da nicht überraschen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kommentierte den Verlauf der Verhandlungen ebenso kurz wie knapp: »Da ist noch dran zu arbeiten.«
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