Offensive für mehr Bildung verpufft?
Hamburgs Elbinseln haben weiter Nachholbedarf
Die Gelegenheit schien günstig, um mehr Geld für Bildung zu mobilisieren. 2003 rückte der Hamburger Senat seine lange vernachlässigten Stadtteile Wilhelmsburg und Veddel in den Mittelpunkt und entwickelte das Konzept »Sprung über die Elbe«. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) sollten die ehemaligen, von Industrie und Migration geprägten Arbeiterstadtteile attraktiver werden. Bereits 2001 hatte eine Zukunftskonferenz Ideen zur Bekämpfung massiver Bildungsprobleme entwickelt. Die Forderung an den Senat lautete: Die Bildung in den Fokus rücken. Und tatsächlich: 2006 initiierte die IBA die Bildungsoffensive Elbinseln (BOE).
Für diese Arbeit standen im Rahmen des IBA-Projekts sieben Jahre lang 4,5 Personalstellen zur Verfügung. Das Projekt kooperierte mit dem Forum Bildung Wilhelmsburg (FBW), das von Lehrern, Erziehern und Sozialarbeitern gegründet worden war. Die Initiatoren standen vor einer großen Herausforderung, denn viele Erstklässler sprachen nur unzulänglich Deutsch. Ein Viertel der Schüler verließ die Schule ohne Abschluss. Um es gleich vorweg zu nehmen: Statistisch relevante Steigerungen bei den höheren Schulabschlüssen sind nach sieben Jahren Projektdauer in Hamburgs größtem Armutsgebiet nicht zu verzeichnen. Doch Erfolge in solch kurzer Zeit seien »unmöglich«, behauptet Projektkoordinator Jürgen Deege-Rüger. Mindestens zehn Jahre seien dafür nötig, sagt die bildungspolitische Sprecherin der Hamburger Grünen Stefanie van Berg.
Positiver Nebenaspekt der Bildungsoffensive ist aber, dass in Stadtteilen ein riesiges Netzwerk von Bildungsakteuren entstanden ist, die eng zusammenarbeiten - mit dabei neben Schulen und Kitas auch die Jugendhilfe, Elternschulen und Beratungsstellen. Verbessert hat sich ferner die Lesekultur. Fast jede Schule ist inzwischen mit einer eigenen Bibliothek ausgestattet, stadtteilweite Wettbewerbe wie die Lesewoche im Bürgerhaus Wilhelmsburg sind der alljährliche Höhepunkt.
Viel Geld von der IBA gab es für neue Gebäude. Im Bildungszentrum »Tor zur Welt«, eine 60 Millionen Euro Investition, sind eine Grundschule, eine Sprachförderschule und ein Gymnasium sowie diverse Bildungs- und Beratungsträger vereint. Im Media-Dock und im Sprach- und Bewegungszentrum soll Bildungsarbeit auch unabhängig von den Schulen geleistet werden. Doch für die Finanzierung der Organisation ab kommendem Schuljahr gibt es derzeit noch »keine abschließende Entscheidung«, heißt es aus der Bildungsbehörde.
Was bleibt vom Aufbruch durch die IBA-Bildungsoffensive - nur die schönen Gebäude? Vom SPD-Bildungssenator Thies Rabe ist nicht viel zu hören. Immer wieder mahnen Lehrer wie Sozialarbeiter neue Stellen an. Nach einem »Brandbrief« der Elbinsel-Schulleiter gibt es immerhin einen Schulversuch mit zwölf zusätzlichen Stellen. Ob das reicht, ist offen. »Nur wenn die Schulen die entsprechende Ausstattung mit Lehr- und Betreuungskräften haben«, meint die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Karin Prien, gelänge den Kindern der Bildungsaufstieg.
»Die entstandene regionale Bildungslandschaft ist vorbildlich«, resümiert van Berg. Doch ohne ausreichende Koordination der Netzwerke laufe sich das tot. Die halbe Stelle der FBW-Geschäftsleitung scheint dafür zu gering. Und laut Bildungsbehörde ist selbst diese Finanzierung noch nicht gesichert.
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