Sexarbeit lässt sich nicht verbannen
CDU scheitert mit Antrag zu Sperrzeiten für Straßenprostitution in Tempelhof-Schöneberg
Innensenator Frank Henkel (CDU) dürfte für die Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Tempelhof-Schöneberg am Mittwochabend wohl nur ein Achselzucken übrig gehabt haben. Dennoch erhält die von ihm angestoßene Diskussion um Sperrzeiten für Prostitution auf dem Straßenstrich erst mal einen Dämpfer. Nachdem Henkel in der letzten Woche mit einem Verbot zu bestimmten Uhrzeiten für einige Empörung gesorgt hatte, wagte die BVV nun einen neuen Anlauf. In einem von der CDU gestellten Antrag wollte die Fraktion das Bezirksamt auffordern, sich beim Senat für ein Verbot von Sexarbeit zwischen 4 und 20 Uhr rund um die Kurfürstenstraße einzusetzen.
Anwohner und Gewerbetreibende fühlten sich »durch die sich ausbreitende Prostitution belästigt«, hieß es in dem Papier. Mit den Stimmen der rot-grünen Mehrheit war das Vorhaben jedoch schnell wieder vom Tisch. »Hier geht es auch um Armutsprostitution«, sagt Stadträtin Sibyll Klotz (Grüne) gegenüber »nd«. »Dem kann man nicht einfach mit Sperrzonen begegnen.« Die Beschwerden der Anwohner findet sie jedoch berechtigt. Henkels Pläne wird die Schlappe auf Bezirksebene nicht weiter durchkreuzen, denn letztendlich entscheidet der Senat. Bisher sind Berlin und Rostock die einzigen Städte in Deutschland, in denen es keine Verordnungen zu Sperrzonen gibt.
»Henkels Vorschläge sind populistisch und unrealistisch«, beklagt Evrim Sommer, frauenpolitische Sprecherin der LINKEN im Abgeordnetenhaus. Auch vom Vorstoß der BVV hält sie wenig. Zu einer großen Metropole wie Berlin gehöre Prostitution nun mal dazu, sagt sie. Sperrzeiten, die Henkel nicht nur für die Kurfürstenstraße fordert, kämen einem Prostitutionsverbot gleich und das führe die Sexarbeiterinnen wieder in die Illegalität zurück. Genau das wollte man aber mit dem im Jahr 2002 im Bund verabschiedeten Prostitutionsgesetzes (ProsG) verhindern.
»Prostitution kann man nicht verbannen, sie verlagert sich durch solche Beschlüsse nur an die weniger öffentlichen Orte«, sagt auch Jörg Krohmer vom Quartiersmanagement Tiergarten Süd, das regelmäßig zwischen Anwohnern und Sexarbeiterinnen im Kiez vermittelt. Dazu kommt, dass der Bezirk mit der Umsetzung wohl erhebliche Probleme bekommen würde. Schon jetzt fehlt es an Personal, um beispielsweise das Rauchverbot auf Spielplätzen durchzusetzen. Auch für eine alternativ vorgeschlagene strenge Halteverbotszone müsste erst mal ausreichend Personal beim Ordnungsamt zur Verfügung stehen. Und die Sexarbeiterinnen? Die würden einfach weiterziehen, zum Beispiel in die Genthiner Straße. Einige der Nebenstraßen hat man allerdings schon in Einbahnstraßen oder verkehrsberuhigte Bereiche umgewandelt.
Selbst das ProsG macht es schwer, Sperrzonen durchzusetzen: Zwar sind solche Gebiete möglich, diese müssten aber anteilig nach der Bevölkerung im Bezirk auch »Toleranzzonen« zulassen, denn Prostitution ist erlaubt und eine sogenannte »Kasernierung«, also die Begrenzung auf bestimmte Bereiche, laut Gesetz verboten, ohne neue Toleranzzonen einzurichten. Aber welche zu schaffen, wo es vorher nie welche gab, dürfte Anwohnern schwer zu vermitteln sein.
Abgesehen davon sind Bildungssenatorin Sandra Scheeres und die für Familien zuständige Senatorin Dilek Kolat (beide SPD) nur wenig begeistert von Henkels Vorstoß. Die Zahl der Prostituierten in Berlin wird von Beratungsstellen auf etwa 8000 geschätzt, zwischen 600 und 800 Bordelle soll es geben. Genau lässt sich das Gewerbe nicht beziffern. Viele Einrichtungen melden sich als Massagesalon an, selbstständige Prostituierte arbeiten offiziell häufig als Tänzerinnen.
Die Prostitution rund um die Kurfürstenstraße hat sich bereits seit Mitte der 80er Jahre stark verändert. Damals wurden traditionelle Etablissements wie das »Hotel Potsdam« oder die Bar »Romantica« abgerissen oder saniert und in Mietwohnungen umgewandelt. Der Bezirk hatte sich nicht wirklich bemüht, einen Ausgleich zu schaffen. Den Sexarbeiterinnen blieb nichts anderes übrig als auf die Straße auszuweichen. Seit den 90er Jahren gibt es bereits Versuche zu vermitteln. Ein »Runder Tisch Prostitution« wurde einberufen, Vertreter aus Politik, Verwaltung, Polizei, Anwohner, Prostituierten und Straßensozialarbeiter diskutierten miteinander auf der Suche nach Lösungen.
Heute bieten das Quartiersmanagement und der Bezirk Infoveranstaltungen an. Weil hier aber oft unvereinbare Meinungen aufeinandertreffen, passiert nicht viel. Anwohner beschweren sich seit Jahren, dass die Sexarbeiterinnen zu laut, zu aggressiv seien und sich viel zu freizügig geben.
Beim Frauennotdienst Olga, der im Kiez tätig ist, wurden extra DolmetscherInnen eingestellt, die die Prostituierten bei rechtlichen Fragen beraten, aber auch erklären, welche Probleme es gibt. Ungefähr die Hälfte der Sexarbeiterinnen im Kiez kommt aus Osteuropa, heißt es in einer Studie der Technischen Universität zu »Nachbarschaften und Prostitution«. Weniger schreien, mehr Bekleidung wäre also die Devise, ginge es nur nach den Anwohnerbeschwerden. Da die Frauen auf der Straße aber ständig wechseln und auch die Übersetzerinnen nur befristete Verträge bekommen, ist es schwierig langfristig etwas zu bewirken, sagt Jörg Krohmer.
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