Organizing ist kein Allheilmittel
Fachtagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung debattierte über gewerkschaftliche Erneuerung und Partizipation
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erlebt eine Wiederauferstehung - zumindest, was die Mitgliederzahl betrifft. Erst vor wenigen Tagen verkündete der Vorsitzende Frank Bsirske, dass sie erstmals seit ihrer Gründung im Jahr 2001 steigt. Allein aus der Handelsbranche traten nach vorläufigen Zahlen rund 80 000 Menschen ver.di in den vergangenen Monaten bei.
Doch das ist nur ein vorsichtiger Hoffnungsschimmer. Noch immer sind die Gewerkschaften von ihrer einstigen Stärke weit entfernt. Waren Anfang der 90er Jahre in der Bundesrepublik noch über 35 Prozent der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, ist es heute nicht einmal mal mehr jeder Fünfte, wie aus Zahlen des Fachbereichs Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Universität Jena hervorgeht. Damit kann bei ver.di noch niemand zufrieden sein.
Franziska Bruder dürfte dazugehören. Bevor sie als Hauptamtliche bei ver.di einstieg, engagierte sie sich an der Universitätsklinik Göttingen für die Mitarbeiter in der patientenfernen Dienstleistung, worunter unter anderem die Angestellten in der Wäscherei, Küche und Hausreinigung fallen. Je nach Krankenhaus sind nur zehn bis 15 Prozent der Mitarbeiter in diesem Bereich gewerkschaftlich organisiert. »Das Problem sind nicht nur die vielen passiven verdi-Mitglieder«, die durch die ständig steigende Arbeitsbelastung immer weiter vereinnahmt werden, erklärt Bruder. Ihrer Ansicht nach ist unter vielen Beschäftigten noch immer die Vorstellung verbreitet, Probleme im Unternehmen vollständig auf den Betriebsrat abzuschieben. Doch dieses Herangehensweise stößt an ihre Grenzen, wenn der Betriebsrat Entscheidungen mitträgt, die den Interessen der Angestellten widersprechen. Zusätzlich problematisch ist zudem, dass sich die wenigen aktiven Gewerkschafter häufig vor allem mit anderen Gewerkschaftern austauschen, weshalb viele Probleme in einem Betrieb verborgen blieben, sagt Bruder. Da deshalb für den einzelnen Mitarbeiter eine Mitgliedschaft bei ver.di kaum attraktiv erscheint, bleibt der Organisationsgrad im Keller.
Lange dauerte es bei ver.di, um auf dieses Problem die passende Reaktion zu finden. Zumindest in der Vorstellung der rund 100 Teilnehmer der Konferenz »Gewerkschaft. Macht. Demokratie. Neue Strategien auf dem Prüfstand« am Wochenende in Berlin ist die Antwort klar: Unter dem Stichwort Organizing müssen neue Protestformen gefunden werden, an denen jeder Mitarbeiter selbstbestimmt teilhaben kann. Doch das in den 1920er Jahren in den USA begründete Modell kann nicht als Allheilmittel dienen. Die betriebliche Mitbestimmung wie hierzulande ist überdies in der US-amerikanischen Arbeitswelt nicht gesetzlich geregelt.
Laut Sören Niemann-Findeleisen von der IG Metall sieht die Industriegewerkschaft darin beispielsweise vor allem ein Modell der Mitgliedergewinnung. Einigen kann sich das Podium immerhin, im Organizing eine Form der Selbstbefähigung des einzelnen Arbeitnehmers zu sehen, der sich dann in der Gruppe organisiert, um die Probleme im Betrieb anzugehen. Oliver Nachtwey, Wirtschaftssoziologe an der Universität Trier, sieht durchaus die Gefahr, dass das Modell in deutschen Betrieben auf Widerstand stößt. »Das Organizing stellt die Struktur der Betriebsräte infrage«, behauptet Nachtwey.
Deshalb könnte ein Betriebsrat in den organisierten Angestellten eine Form der Konkurrenz sehen, zumal die Belegschaft im Gegensatz zur gewählten Arbeiternehmervertretung keine Rücksicht auf Unternehmensinteressen nehmen muss. Ein Ausweg könne daher nur eine frühe Einbindung des Betriebsrats in die jeweiligen Projekte sein. Kampagnenberater Ulrich Wohland sieht dagegen keinen Konflikt aufziehen. »Manchmal sind Betriebsräte Gegner, manchmal sind sie Verbündete«, sagt Wohlland. Grundsätzliche Aussagen ließen sich nicht treffen.
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