Albanien ohne Stern überm Adler

Auf die einst versprochene lichte Zukunft warten die stolzen Skipetaren immer noch

  • Lothar Schröter
  • Lesedauer: 7 Min.
Weiß noch jemand in Albanien, wer Enver Hoxha war? Man weiß. Und wer sucht, stößt auch auf andere Spuren der verflossenen »Sozialistischen Volksrepublik«.

Elbasan 2013. Der Erdkundeunterricht der 60er Jahre an der Polytechnischen Oberschule Cobbelsdorf wird wieder wach: Ein riesiges metallurgisches Kombinat namens »Stahl der Partei« im - na ja - immer noch halbwegs befreundeten Albanien entsteht, erklärte die Lehrerin. In den 70er Jahren vollendet, sollte es 750 000 Tonnen Stahl im Jahr erzeugen. 600 000 wurden erreicht. 12 000 Menschen standen in Lohn und Brot. Das industrielle Herz Albaniens, das im Dezember 1976 zur Sozialistischen Volksrepublik erklärt worden war, schlug kräftig. Die Bevölkerungszahl explodierte. 1950 beherbergte die Stadt 15 000, im Jahre 1975 schon 60 000 Einwohner. Gegenwärtig sind es wohl 80 000.

Heute ragen, weithin sichtbar, verrostete Anlagen in den azurblauen Himmel. Allüberall an den Fabrikhallen zerschlagene Fensterscheiben. So recht erfassen kann man das gewaltige Areal erst, wenn man nicht die neu entstehende Autobahn in das 60 Kilometer nordwestlich liegende Tirana, sondern die alte Landstraße über die Berge wählt. Ein ganz kleiner Teil des Kombinats immerhin zeigt Leben. Das türkische Unternehmen Kürüm hat ihn 1998 für 20 Jahre zu einer Art Pacht erworben und verarbeitet vor allem Schrott. Zu Anfang produzierte das Werk 20 000 Tonnen Stahlblöcke, zehn Jahre später schon 400 000. Doch nicht mehr als 400 Arbeiter können sich über eine bezahlte Beschäftigung freuen. Entsprechend atemberaubend ist die Arbeitslosigkeit. Für den Bezirk Elbasan mit seinen rund 225 000 Bewohnern wird sie offiziell auf 16 000 Personen beziffert. Doch daran glauben am allerwenigsten die Albaner selbst.

Ein paar Kilometer weiter, bei den Schwefelquellen von Llixhat, klärt uns Endri Gyla auf. In den Ferienheimen von Llixhat machten die Stahlarbeiter von Elbasan einst Urlaub. Jetzt herrschen gähnende Leere und Tristesse. Endri, ein Endzwanziger, ist auch arbeitslos. Zwischen 40 und 80 Prozent seiner Landsleute teilen dieses Schicksal, schätzt er. Was man allerorts sieht, scheint ihn zu bestätigen. Die offizielle Statistik weist nur um die 25 bis 30 Prozent Arbeitslosigkeit aus. Über die hoffnungsschwangeren Aussagen der Regierenden lächeln die Albaner heute genauso wie in den langen Jahren der »Isolation«. So wird die Periode von 1978, als Tirana mit der Volksrepublik China als letztem Verbündeten brach, bis zur albanischen »Wende« 1990 genannt.

Auch wenn Endri für Llixhat gut Wetter macht, bleiben Zweifel: Für die ärmeren Albaner sind die wenigen, einigermaßen auf Standard gebrachten Hotels kaum zu bezahlen und die reicheren werden dort das Richtige kaum finden. Endri selbst hat in Italien gearbeitet. Jetzt bekommt er 100 Euro Arbeitslosenunterstützung. Wer ohne Arbeit ist, muss zusehen. Unzählige flüchten ins Dienstleistungsgewerbe. Gute Hotels und noch preiswertere Gaststätten - daran herrscht Überfluss. Ebenso an Tankstellen und LAVAZH - Autowaschanlagen. Als ich sage »Der Kapitalismus braucht Albanien und die Albaner nicht!«, lächelt Endri müde.

Doch zurück nach Elbasan. Der Kontrast kann kaum größer sein. Hier die Wohnhäuser aus dem Sozialismus, für deren Modernisierung kaum Geld da ist. Da auch das ehemals wohl mondäne Hotel »Skampa« aus realsozialistischen Zeiten, das heute ein Schatten seiner selbst ist. Ein vom Stahlwerk bis in 30 oder gar 50 Zentimeter Tiefe verseuchter Boden. Auf der anderen Seite Ausgrabungen im Stadtzentrum, die den Menschen die illyrische Geschichte in Erinnerung rufen. Und vor allem die allmählich wieder Gestalt gewinnende Altstadt, mit einer faktisch neu aufgebauten Moschee.

Da sind wir bei einer Legende, mit der einige in Albanien, mehr noch andere im Ausland hausieren gehen: die »Wiedergewinnung der Religion«. Dabei ist es mit der Gläubigkeit nicht weit her. Es wirkt nach, dass das Land 1968 brachial zum ersten atheistischen Staat der Welt erklärt wurde. Mit dem Islam nehmen es die vielleicht 20 (nicht die offiziell 60) Prozent Muslime nicht so genau. Ramadan - Fehlanzeige. Dafür Schweinefleisch und Raki mit 55 bis 60 Volumenprozenten. Man brennt ihn selbst und langt kräftig zu. So der dunkelhaarige Kellner im Delta-Park südlich von Tirana, der jahrelang illegal in Deutschland gearbeitet hat. Auch an die angeblich 40 Prozent Christen in Albanien glaubt er nicht. Allenfalls seien es unter einem Drittel der Landeskinder. Bekim Petku ist sein Kollege. Er schimpft über die albanische Gegenwart. Doch die »Isolation« will er auf keinen Fall zurück haben. Kaum jemanden trifft man, von Shkodër im Norden bis Sarandë im Süden, der sich nach den alten Zeiten sehnt. Eine rigide Zuteilung von Lebensmitteln als schmerzlichstes Symptom der Versorgungsmangelwirtschaft, staatliche Willkür, Gängelung - nein, das niemals wieder! Sogar für eine Reise über die eigene Region hinaus habe es einer Genehmigung bedurft.

Gab es wirklich gar nichts, was seit der Befreiung von den zunächst italienischen, später deutschen Okkupanten 1944 in Albanien erkämpft wurde? Eine gänzlich rückständige Agrargesellschaft wandelte sich zu einem industriell-agrarischen Staat. Das Analphabetentum wurde beseitigt, wo noch vor dem »Kommunismus« vier von fünf Landeskindern weder lesen noch schreiben konnten. 1957 wurde in Tirana die erste Universität des Landes gegründet. Höhere Lehreinrichtungen entstanden auch außerhalb der Metropole. 1972 kam die Akademie der Wissenschaften hinzu. Ein relativ leistungsfähiges Gesundheitssystem diente allen Menschen. Die Malariaplage wurde besiegt. Der Lebensstandard stieg ganz allmählich. Vor allem in den »goldenen Jahren« Ende der 50er schien es voranzugehen. Dann der Bruch mit der UdSSR und ihren engsten Verbündeten, der Austritt aus dem Warschauer Vertrag in zwei Schritten 1962 und 1968, der Rückzug aus dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Voluntarismus und ideologische Verbohrtheit waren zwar ungleich verteilt, aber auf beiden Seiten anzutreffen.

In Albanien endeten die Träume von Millionen in einer Despotie. Die wird im Nationalmuseum von Tirana reichlich und ohne jeden Anflug von Differenziertheit vorgeführt. 136 Objekte künden vom »Massenmord in der kommunistischen Zeit«. Dabei versprach das Mosaik »Die Albaner« über dem Haupteingang des 1981 eröffneten Palastes eine lichte Zukunft...

Keine Kompromisse gibt es beim Widerstandskampf der Albaner gegen italienische und deutsche Faschisten. Nach wie vor werden die Partisanen verehrt, wofür auch viele Denkmäler auf dem flachen Land sprechen. Wo aber nur der Sozialismus gepriesen wird - Schmierereien und Zerstörung.

Das Nationalmuseum erhebt sich an jenem Platz im Zentrum Tiranas, der nach dem Nationalhelden Skanderbeg benannt ist. Zu seinem 500. Todestag 1968 wurde eine elf Meter hohe Reiterstatue errichtet. Davor bläht sich im Wind das rote Staatsbanner mit dem schwarzen doppelköpfigen Adler. Seit dem 7. April 1992 ist der gelbe Stern darüber verschwunden.

Andere Relikte der Sozialistischen Volksrepublik sind noch sichtbar. Die Plattenbauten beispielsweise, immerhin noch relativ preiswerte Quartiere. Als solche werden häufig auch jene Mini-Betonbunker genutzt, die seinerzeit gegen die als allgegenwärtig beschriebene Bedrohung von außen schützen sollten. Selbst einige Zeugen des Handels mit der DDR erblickt man noch heute - Fortschritt-Landtechnik, Eisenbahnwaggons, W-50-Lastkraftwagen und manchmal auch eine MZ. Sonst aber kann kaum jemand etwas anfangen mit dem Begriff »Republika Demokratike Gjermane«.

Doch weiß noch jemand, wer Enver Hoxha war? Man weiß. Auf einer Brücke über das Flüsschen Lana in der Hauptstadt verkauft ein junger Mann die Schriften des bis zu seinem Tod 1985 allmächtigen Parteichefs. Andere marxistische und pseudomarxistische Literatur auch. Hätte er keinen Absatz, würde er dort nicht ausharren. Eine hohe Pyramide mit langen Glasfenstern war früher das Enver-Hoxha-Museum. Jetzt verlottert es. Im Stadtteil Blloku wohnte der Staatslenker einst inmitten eines Wohnviertels. Begraben liegt er heute auf dem größten städtischen Friedhof, wohin er 1992 vom Heldenfriedhof umgebettet wurde.

Der Friedhofsgärtner weiß Bescheid. Ab und an fragen Interessierte, Blumen zieren das Geviert. Als Zugabe zeigt der Mann noch den Begräbnisort Mehmet Shehus, des berühmten Partisanenführers und späteren Ministerpräsidenten, der 1981 erschossen in seinem Bett gefunden wurde. Auch noch die Ruhestätte der Familie Nano, aus der Fatos Nano stammt, wiederholt sozialistischer Regierungschef im Nachwende-Albanien. Korrupt, meint der Gärtner, wie alle Politiker.

Die Korruption ist das große Thema im Land der Skipetaren (Selbstbezeichnung der Albaner). Im Staatsapparat wie bei der Polizei. Bei 200 bis 210 Euro Monatsgehalt bessert mancher sein Salär durch Bestechungsgelder auf, heißt es in Gesprächen. Ähnlich sollen es auch Ärzte halten, die immerhin um die 350 Euro monatlich bekommen. Rentner können das nicht. Sie müssen mit 100, in Ausnahmefällen 200 Euro über die Runden kommen. Bei Preisen wie in Deutschland.

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