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Feministinnen sprechen sich für ein Verbot von Prostitution aus?
Anfang Oktober rief Alice Schwarzer zu einem Verbot von Prostitution auf und fand eine Menge prominente Unterstützer. Sie argumentierte, Prostitution sei »moderne Sklaverei« und setzte Prostitution mit Zwang und Frauenhandel gleich. Seitdem wird in manchen Medien berichtet, Feministinnen forderten ein Verbot der Prostitution. Aber viele Frauen widersprechen. Ein Teil derjenigen, über die hier geredet wird, haben sich seit einigen Jahren zusammengeschlossen und wollen selbst mitreden. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen veröffentlichte einen Gegen-Appell FÜR Prostitution, der allerdings nicht so häufig unterzeichnet wurde, wie der Emma-Appell. Doña Carmen e.V., ein Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten, streitet schon länger vor Gericht gegen Alice Schwarzer wegen wahrheitswidriger und ehrabschneidenden Äußerungen über ihre Organisation.
Differenzierung tut not. Eine an der Lebensrealität der Betroffenen orientierte Debatte muss mit ihnen, nicht über sie, geführt werden. Selbstverständlich sind Frauen und Kinder, die gezwungen werden, sich zu prostituieren – die also vergewaltigt werden – zu schützen. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind Straftaten, die zu verfolgen sind. Im Koalitionsvertrag heißt es nun, wer »wissentlich und willentlich die Zwangslage von Opfern ausnützt« müsse mit Strafe rechnen. Das mag gut gemeint, in der Realität aber kaum umsetzbar sein, da es nicht nachweisbar sein wird.
Die Situation von Prostituierten wird eher auf einem Kontinuum zwischen Zwang, auch aufgrund der Lebensverhältnisse, und Freiwilligkeit unterschiedlich einzuordnen sein. Wer Prostituierten, die aus Zwangslagen heraus dem Geschäft mit ihrem Körper nachgehen, andere Möglichkeiten bieten will, muss attraktive Alternativen schaffen. Hier stellen sich Fragen nach realistischen Einkommensmöglichkeiten, nach Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung.
Wer jedoch jede Migration als Armutsmigration verteufelt, die Wege verbaut, auf legalem Weg die Grenzen zu überschreiten; wer legale Arbeitsmöglichkeiten verhindert und auch in anderen Bereichen die Ausbeutung von Menschen unter menschenunwürdigen Verhältnissen duldet, meint es nicht ehrlich mit dem Einsatz für die Menschenrechte der Prostituierten. Kerstin Wilhelms schreibt in der »graswurzelrevolution« Nr. 384: »Nicht die Kriminalisierung von KonsumentInnen und ArbeiterInnen ist nötig, sondern die von Profiteuren und Ausbeutern, die eine Selbstverwirklichung in der Prostitution – und dazu gehört auch ein Ausstieg aus der Prostitution – verhindern.« Demokratie und Menschenrechte werden nicht durch Restriktionen, Verbote, Strafen gewährleistet, sondern durch Schutzmechanismen, die Freiheiten ermöglichen und auch Abweichungen von der Norm zulassen.
Die Verteufelung der Prostitution ist moralinsauer. In einer Gesellschaft, in der der Körper unter dem Gesichtspunkt der Verwertungslogik betrachtet wird, er zur Ware wird, hat auch die Sexualität nicht unbedingt etwas mit Begehren und Liebe zu tun, wie dann gerne behauptet wird. Wir haben gesund zu leben und auf Bedürfnisse zu verzichten, um den Körper fit zu halten. Der Körper hat den Schönheitsidealen angepasst zu werden. Organe werden transplantiert, Embryonen selektiert. Warum sollte dann nicht auch Sexualität eine Dienstleistung sein können? Der Bericht eines Altenpflegers macht eine ganz andere Perspektive deutlich. Viele alte Menschen, möglicherweise zunächst vor allem alte Männer, haben auch im Alter und auch als Demente sexuelle Bedürfnisse. Sie verlieren ihren Sexualtrieb nicht. Prostituierte mögen dann Sexualassistentin heißen, ihr Dienst bleibt derselbe. Anschaulich berichtet Christopher Piltz im »Freitag« vom 5. Dezember 2013 im Artikel »Mit aufs Zimmer«, wie menschlich-hilfreich solche Dienste ohne Zwang und Frauenhandel sein können.
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