Nach uns die Sintflut
Französische Kernkraftwerke sollen künftig 50 statt 40 Jahre laufen dürfen
Die Linksregierung und der mehrheitlich staatseigene Energiekonzern Electricité de France (EDF) arbeiten unter Hochdruck an einem Gesetz, mit dem die Laufzeit der insgesamt 58 Reaktoren in den 19 französischen Kernkraftwerken von bisher 40 auf 50 Jahre verlängert werden soll. Dies enthüllten jetzt Journalisten. Das Umwelt- und Energieministerium reagierte ertappt und wollte sich dazu nicht äußern, während das Wirtschafts- und Finanzministerium Zustimmung zu der geplanten Maßnahme signalisierte.
Zwar erreichen die ersten Meiler erst im Jahr 2018 die Maximallaufzeit von 40 Jahren. Doch die Verlängerung wird langfristig betrieben, zumal man mit Widerstand von Verbänden und Teilen der Grünen-Partei rechnen muss. Auch will man die Öffentlichkeit schonend auf diesen Schritt vorbereiten, um nicht den nach wie vor sehr großen Rückhalt in der französischen Bevölkerung für die Atomenergie aufs Spiel zu setzen. Darum wird von den Befürwortern das Argument des Strompreises in den Vordergrund gestellt, der im Vergleich zu anderen europäischen Ländern tatsächlich relativ niedrig ist. Das sei nur möglich, weil die Kernkraft 75 bis 80 Prozent der nationalen Elektroenergieerzeugung ausmacht, heißt es immer wieder.
Doch wie lange das Preisargument noch zieht, ist ungewiss. Seit vier Jahren ist der Strompreis in regelmäßigen Schüben um zusammengenommen 20 Prozent gestiegen, und für den Zeitraum bis 2017 werden Steigerungen um weitere 20 Prozent erwartet. Der Grund: EDF muss Rückstellungen in zweistelliger Milliardenhöhe bilden, um den langfristig geplanten Bau von Endlagern für Atommüll sowie die Demontage alter und stillgelegter Kernkraftwerke finanzieren zu können. Außerdem verschlingt der Bau des neuen Europäischen Druckwasserreaktors an der Atlantikküste bei Flamanville nach jüngsten Hochrechnungen mindestens 8,5 statt der ursprünglich veranschlagten 3,3 Milliarden Euro. Und auch eine Laufzeitverlängerung hätte ihren Preis: Zwischen 15 und 35 Milliarden Euro könnten die dann notwendig werdenden Nachrüstungen für die Uralt-Atommeiler kosten.
Für EDF bedeuten eine Laufzeitverlängerung und die entsprechend gestreckte Abschreibungsfrist einen jährlichen Mehrgewinn von mindestens 800 Millionen Euro - Analysten rechnen mit einem Anstieg des Börsenkurses um zehn Prozent. Das käme nicht zuletzt dem Staat als Hauptaktionär zugute, der seit 2005, als der Konzern an die Börse gebracht wurde, bereits 16 Milliarden Euro an Dividenden kassiert hat.
Um die Grünen, den Juniorpartner in der Koalition der Linksregierung, bei der Stange zu halten und zu besänftigen, versichert Premier Jean-Marc Ayrault, dass der Staat seine Dividende aus dem EDF-Konzern mindestens zur Hälfte in die Energiewende und die Förderung Erneuerbarer investiert. Bisher ist davon jedoch kaum etwas zu spüren, abgesehen von einem relativ bescheidenen Programm zur Förderung der Wärmedämmung von Wohngebäuden, um den Energieverbrauch zu drosseln.
Bei zahlreichen Grünen stößt die Regierung mit ihrem Kurs auf eine Wand: »Wir werden die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke auf 50 Jahre nicht akzeptieren«, warnt etwa der Pariser Abgeordnete Denis Baupin. »Diese Absicht widerspricht völlig der Zusage von Präsident François Hollande, bis 2025 den Anteil von Atomstrom an der Energieerzeugung auf 50 Prozent zu senken.«
Tatsächlich hat der Präsident nie präzisiert, wie er dahin kommen will, und die bislang angekündigten Maßnahmen lassen daran zweifeln, ob das Ziel wirklich ernsthaft angestrebt wird. Bis heute hat Hollande lediglich die Stilllegung des nahe der deutschen Grenze gelegenen AKW Fessenheim angekündigt, des heute ältesten noch aktiven Kernkraftwerks Frankreichs. Doch da es vor Ort gegen das Vorhaben wegen der gefährdeten Jobs heftigen Widerstand von Bürgervereinigungen, Gewerkschaften und Kommunalpolitikern aller Parteien außer den Grünen gibt, ist der Termin der Stilllegung schon mehrfach verschoben worden. Jetzt wird offiziell das Jahr 2016 genannt. Das wäre dann bezeichnenderweise nur wenige Monate vor dem Ende der Amtszeit des Präsidenten und erinnert stark an das geflügelte Wort am Versailler Hof von Ludwigs XIV.: »Nach uns die Sintflut!«
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