- Brandenburg
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Licht und Wärme, Hunger und Kastration
Die Historikerin Sylvia de Pasquale untersuchte die Haftbedingungen 1920 bis 1945 im Zuchthaus Brandenburg
»Die Behandlung in Brandenburg war einigermaßen gut. Ich habe mit einem Genossen und einem Kriminellen in einer Zelle gesessen und wir haben die Zeit bis auf den Hunger, der furchtbar war, einigermaßen überstanden.« Das notierte Kurth Groth, der von 1934 bis 1936 im Zuchthaus Brandenburg-Görden einsaß, 40 Jahre später in seinen Erinnerungen.
Die Zustände in den Gefängnissen im faschistischen Deutschland hoben sich deutlich ab von den Verhältnissen in den Konzentrationslagern. Besser als anderswo war es dann noch einmal im Zuchthaus Brandenburg. Denn diese Anstalt wurde zwischen 1927 und 1932 nach Plänen gebaut, die auf einen humaneren Strafvollzug abzielten. Allein um die Sühne eines Verbrechens - wie in der Kaiserzeit - ging es der Weimarer Republik nicht mehr. Sie wollte die besserungsfähigen Kriminellen in der Haft erziehen und auf ein anständiges Leben in Freiheit vorbereiten. Dazu dienten Vergünstigungen und Lockerungen bis hin zum Hafturlaub selbst für Mörder, die stufenweise gewährt, bei Fehlverhalten jedoch auch wieder entzogen wurden.
Die moderne Ausstattung des Zuchthauses passte sich an dieses Konzept an, obwohl sich Reformer noch mehr erhofft hätten. Es gab aber immerhin Toiletten, Duschen, Bäder, Waschbecken und vor allem eine Heizung in allen Zellen, so dass es dort trocken und warm war. So sah sich Architekt Erich Meffert nach der Machtübernahme der Nazis zur Rechtfertigung genötigt. Er verteidigte Luft, Licht und Sauberkeit in dem Zuchthaus mit angeblich großer Abneigung der Verbrecher dagegen. »Ein vom Alter geschwärzter, unübersichtlicher Bau mit bequemen Schlupfwinkeln« sei ihnen lieber, da sie an die »dunklen Kaschemmen der Großstadt« gewohnt seien.
Tatsächlich waren die Haftbedingungen jedoch keineswegs rosig. Denn allein schon aus Kostengründen, aber auch wegen der extrem verschärften Gesetze sperrte die Justiz hier viel mehr Gefangene ein als ursprünglich beabsichtigt. Eigentlich war Brandenburg-Görden für 850 Häftlinge ausgelegt. Die Zahl der Plätze wurde dann verdoppelt und trotzdem blieb das Zuchthaus viele Jahre überbelegt. Es gibt Schilderungen, wie 20 Männer auf sechs bis neun Quadratmetern eingepfercht waren und dort auf Strohsäcken schlafen mussten, die einfach auf den Boden gelegt waren.
Erich Honecker, Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes im Saarland, saß von 1937 bis zur Befreiung 1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden. Als späterer SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzender ist er der wohl berühmteste Insasse. Doch ihm und anderen politischen Häftlingen widmet sich Sylvia de Pasquale in ihrem jüngst erschienenen Buch »Zwischen Resozialisierung und Ausmerze« allenfalls am Rande. Ebenso spielt der berüchtigte spätere KZ-Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, nur eine Nebenrolle. Er saß ab 1924 im alten Gefängnis am Brandenburger Nicolaiplatz, weil er in den Mord an einem Kommunisten verwickelt war. 1928 wurde er vorzeitig entlassen.
Doch Historikerin de Pasquale, die seit 2013 die Gedenkstätten Brandenburg an der Havel leitet, widmet sich weniger den schillernden Figuren als vielmehr der Gesamtsituation. So beschreibt sie die Auswirkungen rassistischer Vorstellungen. Juden und Polen beispielsweise wurden absichtlich schlechter behandelt, und Kriminelle aus ärmlichen Verhältnissen hatten es schwerer als Gefangene aus bürgerlichen Kreisen, die vielleicht noch über eine akademische Bildung verfügten.
Viele Häftlinge wären unter normalen Bedingungen niemals ins Gefängnis gelangt. Das betrifft nicht nur die von den Nazis verfolgten Kommunisten und Sozialdemokraten. Delikte wie das Hören von Feindsendern gab es nur bei den Faschisten. Außerdem verhängte die Nazijustiz drakonische Strafen gegen Kriminelle. Wer sonst mit einer Verwarnung, einer Geldbuße oder einer Bewährungsstrafe weggekommen wäre, musste nun ins Gefängnis oder es drohte sogar ein Todesurteil. 46 Straftatbestände rechtfertigten in der Nazizeit eine Hinrichtung: eine vorher und nachher nie dagewesene Zahl. 2042 Menschen sind bis zur Befreiung 1945 in Brandenburg-Görden hingerichtet worden.
Nicht bloß gefährliche Gewalttäter, auch Kleinkriminelle steckten die Faschisten in Sicherungsverwahrung, aus der es nur im Einzelfall noch einen Weg in die Freiheit gab. Brandenburg-Görden war eine von sieben Verwahranstalten im Reichsgebiet. 711 von 757 Sicherungsverwahrten und außerdem 376 Sträflinge mit anschließender Sicherungsverwahrung gab das Zuchthaus 1942 und 1943 zur »Vernichtung durch Arbeit« ab. Die Hälfte der Betroffenen ermordete die SS bereits wenige Tage und Wochen nach ihrer Ankunft im KZ. Die Justizbeamten hatten fleißig aussortiert und dabei nicht einmal darauf Rücksicht genommen, ob die Männer dann als Arbeitskräfte in den Anstaltsbetrieben und in der Rüstungsindustrie fehlten. Zurückhaltung legten sie erst an den Tag, als die SS sich beschwerte, viele Kranke und Schwache erhalten zu haben. Denn die SS schwenkte im Laufe des Zweiten Weltkriegs um und wollte dann erst die Arbeitskraft der KZ-Häftlinge ausbeuten, bevor sie sie ermordete. In diesem Fall aber ersann das Justizministerium lieber eigene Konzepte für die »Vernichtung durch Arbeit«.
Sexualmörder, Vergewaltiger, Kinderschänder und Exhibitionisten mussten mit ihrer Zwangskastration rechnen. Die Ärzte nahmen die schweren gesundheitlichen Schäden in Kauf, obwohl nicht einmal belegt war, dass der Trieb durch die Entfernung der Hoden tatsächlich erlischt. Daneben gab es noch die freiwillige Kastration, unter anderem für Homosexuelle. Dabei wurde allerdings erheblicher Druck auf die Betroffenen ausgeübt. Mancher gab seine Einwilligung in der Hoffnung, dann entlassen zu werden. Diese Möglichkeit wurde ihnen vorgespiegelt, die Hoffnung dann aber enttäuscht. Sterilisationen bei allen möglichen Verbrechern sollten ihre Fortpflanzung verhindern. Dahinter stand die Pseudowissenschaft Kriminalbiologie, die soziale Ursachen ausblendete und von erblich bedingter Kriminalität ausging, die sich ausmerzen lasse. Anstaltsarzt Werner Eberhard, der Sterilisationen selbst ausführte, zeigte sich deshalb enttäuscht, dass er nicht viel mehr solcher Operationen vornehmen durfte. Er drang auch auf die Tötung von angeblich unverbesserlichen Verbrechern. Während des Zweiten Weltkriegs drohte Hitler, man werde dafür sorgen, dass nicht der Abschaum im Knast überlebe, während die Besten an der Front fallen. Dies war keine leere Drohung.
Gefürchtet waren die Strafgefangenenlager der Justiz, wo die Häftlinge bei der Trockenlegung von Mooren oder bei der Regulierung der Elbe in der Havelniederung eingesetzt worden sind. Dagegen quälte in Brandenburg-Görden nur der Hunger. Die Versorgung wurde im Laufe des Krieges immer schlechter. Misshandlungen durch Wärter kamen zwar auch hier vor, waren aber nicht an der Tagesordnung. Es gab sogar einige heimlich sozialdemokratisch gesinnte Wärter, die ihren Genossen und anderen politischen Häftlingen zu helfen versuchten.
Eine so nicht gewollte Aktualität erhält das Buch von Sylvia de Pasquale durch ein Vorwort von Justizminister Volkmar Schöneburg (LINKE), der im Dezember zurücktrat, entnervt von Vorwürfen, er habe einen Häftling der Justizvollzugsanstalt Brandenburg begünstigt, zermürbt von Angriffen der Opposition auf seine Politik der Resozialisierung. Im Vorwort schreibt Schöneburg, die auf Resozialisierung ausgerichteten neuen Regelungen in der Weimarer Republik »kollidierten nicht selten mit der Haltung, die die meisten Beamten den Straffälligen entgegenbrachten. Bei ihnen herrschte noch ein obrigkeitsstaatliches Denken vor, was ihnen den Übergang ins Dritte Reich erleichterte«.
Die einst von den Faschisten eingeführte und äußerst umstrittene Sicherungsverwahrung abschaffen konnte Volkmar Schöneburg nicht. Als Justizminister nahm er aber kurz vor seinem Rücktritt noch am Richtfest für einen Neubau der Sicherungsverwahrung in Brandenburg/Havel teil. Bessere Unterbringung, bessere Therapie, das war seine Absicht.
Sylvia de Pasquale: Zwischen Resozialisierung und Ausmerze. Strafvollzug in Brandenburg an der Havel (1920-1945), Metropol, 598 Seiten, geb., 28 Euro
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