Angst vorm gemeinen Schleicher
Seit Kurzem besteht Vignettenpflicht auf der Inntalautobahn - das Chaos blieb bisher aus
Noch immer sind die Bürgermeister der Inntalgemeinden diesseits und jenseits der Grenze sauer auf die österreichische Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ). Die Einführung der Vignettenpflicht auf der Inntalautobahn (A 12) zwischen Kiefersfelden (Landkreis Rosenheim) und der Ausfahrt Kufstein-Süd zum 1. Dezember 2013 belastet die gute Nachbarschaft zwischen Bayern und Österreich empfindlich. Und selbst Tiroler Landespolitiker schimpfen im »Pickerlstreit« auf ihre Bundesregierung in Wien.
Allerdings: Ausgerechnet dieser Winter ist keiner, die Skifahrer bleiben zu Hause - und somit auch der Beweis für die befürchtete Zunahme des Ausweichverkehrs durch die Dörfer. Der Verzicht auf die Kontrolle der »Pickerl« - ein in Österreich gebräuchliches Synonym für einen Aufkleber oder Etikett - hatte hauptsächlich mit Blick auf die Wintersportler aus Bayern gegolten, die zum Skifahren ins Tiroler Gebiet um den Wilden Kaiser fahren. Jetzt aber müssen die Brettlfans für die Anreise über die A 12 zahlen. »Oben ohne« auf der Windschutzscheibe kostet 120 Euro.
Die Angst der Gemeinden entlang der Autobahn: Die Tagesausflügler sparen sich die Maut lieber und fahren durch die Dörfer. Verstopfte Straßen, Verkehrslärm und Gestank wären die Folgen. Trotz ausbleibender Skifahrer berichtet der Kiefersfeldener Bürgermeister Erwin Rinner (CSU) jedoch von einer Verdopplung des Verkehrs in seiner Gemeinde seit Einführung der Vignettenpflicht. Schon zuvor wälzten sich täglich 10 000 Fahrzeuge durch den schmucken Ferienort.
»Der Kreisel ist voll«, sagt der Rathauschef über die Verkehrslage an der Zufahrt zur Autobahn. Vor allem nutzten jetzt auch viele Tiroler Nachbarn die Schleichwege, um in Kiefersfelden mautfrei auf den bayerischen Teil der Inntalautobahn zu fahren. »So viele Tiroler Kennzeichen habe ich früher nie gesehen«, stellt Rinner fest.
Auch im Landratsamt Rosenheim wird die Situation argwöhnisch beobachtet. Behördensprecher Michael Fischer: »Wir können derzeit nicht nachvollziehen, wie sich die Vignettenkontrollen auf die Verkehrslage in den Kommunen auswirkt, weil die Tagestouristen ausbleiben.« Landrat Josef Neiderhell (CSU) hatte am 1. Dezember 2013 Bayerns erste behördlich geduldete Autobahnblockade zugelassen. Über 1000 Demon-stranten machten auf den gesperrten Fahrbahnen ihrem Ärger Luft. Bei einer Kundgebung wenige Kilometer entfernt protestierten 2000 Tiroler Bürger gegen ihre eigene Bundesregierung.
Die österreichische Autobahngesellschaft Asfinag ist indessen zufrieden mit der Einführung der Vignettenpflicht zwischen Landesgrenze und Anschlussstelle Kufstein-Süd. »Trotz starker Reisewochenenden kann von einem Verkehrschaos bislang überhaupt keine Rede sein«, sagt Sprecherin Gabriele Lutter. Ein Verkehrsrückgang auf der A 12 sei ebenfalls nicht festzustellen. Im Gegenteil: An der Vertriebsstelle Kiefersfelden registriert die Asfinag vor allem bei den Jahresvignetten einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Die Rechnung scheint also aufzugehen für die Nachbarn.
Das Klima zwischen beiden Ländern ist wegen eines weiteren grenzüberschreitenden Verkehrsproblems belastet. Die deutsche Regierung dringt auf eine spürbare Entlastung der Bewohner im bayerischen Grenzgebiet vom Fluglärm, den der Salzburger Airport verursacht. Doch die Regierung in Wien will, dass weiterhin 90 Prozent aller Landungen am Salzburger Flughafen über deutschen Luftraum gehen.
So wird es höchste Zeit für den geplanten Besuch von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in der Alpenrepublik. Der CSU-Chef hatte kurz vor Jahresende angekündigt, sich persönlich in den »Pickerlstreit« mit Österreich einzuschalten. Er werde 2014 sicher einmal im Nachbarland sein, so Seehofer, und dann werde man auch darüber reden. Der Besuch dürfte nicht einfach werden. Österreich hat angekündigt, mit allen Mitteln gegen die geplante Pkw-Maut für Ausländer auf deutschen Autobahnen zu kämpfen. Und die Nachbarn wissen genau, dass die Idee dazu von Seehofer stammt. dpa/nd
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